Dieser Tage hört man oft die Aussage, dass es an besseren Visionen für die Zukunft mangle. Dass dem nicht so ist, zeigt Stefan Selke in seinem Buch Wunschland. Auf knapp 500 Seiten sammelt er irdische Utopien und gibt einen historischen Einblick in die hoffnungsvollen Zukunftsvisionen der Menschheit.
Das Besondere daran: Selke geht es nicht um die fiktiven Erzählungen von Platon, Morus, Bellamy, u. v. m., sondern um tatsächlich gelebte und ausprobierte Utopien. Beispiele wie Henry Fords geplante Modellstadt „Fordlândia“ (1914), Peter Thiels „Seasteading“-Vision von schwimmenden Inseln (2008) oder auch Elon Musks Marskolonien (2020) sind dabei nur drei von über dreißig Fallstudien, die akribisch recherchiert sind und in dem Buch anschaulich aufbereitet werden.
Utopien als neue, unerschlossene Orte
Wenn Selke dabei über Utopien spricht, so meint er neue, unerschlossene Orte, die für ein besseres Leben genutzt werden können. So verwundert es nicht, dass im Buch immer wieder Geschichten über Weltraumexpeditionen und Visionen von Mond- oder Marskolonisierungen auftauchen. Ein Grund hierfür ist sicherlich auch Selkes persönliche Biografie: Der disziplinäre Grenzgänger (wie er sich selbst beschreibt) hat einen Hintergrund in der Luft- und Raumfahrttechnik.
Das zweite Steckenpferd von Selke ist die Soziologie. So folgt sein Interesse auch den gesellschaftlichen Ordnungen, die an diesen neu erschlossenen Orten ausprobiert oder in Betracht gezogen wurden. Beispiele dafür sind theoretischen Gesellschaftsformen der NASA, geplant in den 1970ern, die ISS als Modell einer neuen Weltordnung aber auch Gedankenexperimente, die den Mond als Menschheitslabor begreifen. Bei diesen Auseinandersetzungen verpasst er es auch nicht, die Kehrseiten der utopischen Visionen zu verdeutlichen. Denn überall da, wo soziale Regeln allmächtig werden, kommen notgedrungen „Apparaturen der Kontrolle, Mechanismen der Ausbeutung und Werkzeuge der Entfremdung“ (S. 38) zum Einsatz.
An einigen Stellen überromantisiert Selke die Technologien und verfällt in eine fast euphorisch Haltung, wenn er mit den Visionär:innen gemeinsam von einer besseren Welt träumt. Dabei kommt die Frage, was denn hier eigentlich mit „besser“ gemeint ist, für meinen Geschmack zu kurz. Hinter jeder (Tech-)Vision stehen Fragen wie: Für wen ist diese Welt besser? Wessen Interessen dienen diese Visionen? Und welche Werte werden in die Technologien eingeschrieben, die die Welt verbessern sollen?
Eine Bereicherung für das Denken über die Zukunft
Dennoch sind die Sammlung und Zusammenstellung der überaus interessanten Beispiele eine absolut gelungene Bereicherung für das Denken über die Zukunft. Wunschland liefert letztlich nicht nur einen sehr guten Überblick über die hoffnungsvollen Visionen unserer Kultur, sondern macht dabei unfreiwillig deutlich, dass unser Nachdenken über Utopien immer auch ein Nachdenken über zukünftige Technologien ist.