Positive Ideen von der Zukunft sind motivierender als Angst. Das meinen Christiana Figueres und Tom Rivett-Carnac. Figueres war Exekutiv-Sekretärin der Vereinten Nationen für den Klimawandel von 2010 bis 2016, Rivett-Carnac besonders am Zustandekommen der Pariser Verträge zum Klimaschutz beteiligt. Wie aber kann man angesichts der Entwicklung des Ausstoßes von CO2 noch Optimist sein? Sehen wir es so: Unsere Generation hat das Kapital, die Technologien und die Ideen, wie nicht nur der Klimawandel beschränkt werden kann, sondern wie wir uns sogar eine bessere Welt bauen können. Die Generation vor uns hatte das Geld dazu nicht. Die Generation nach uns hat keine Chance mehr, wenn wir es nicht tun.
Die Zukunft wird schön
Wir haben nicht nur die Chance, eine durch die Klimaveränderung drohende Krise des Planeten abzuwenden, wir können die Welt wesentlich schöner, besser und angenehmer machen. In der Publikation The Future We Choose stellen Figueres und Rivett-Carnac diese zukünftige, bessere Welt vor: „Cities have never been better places to live. With many more trees and far fewer cars, it has been possible to reclaim whole streets for urban agriculture and for children’s play.“ (S. 33) In dieser fiktiven guten Welt, die wir uns für das Jahr 2050 vorstellen dürfen, blickt man zurück auf die große Kampagne für mehr Bäume in den Städten. Das war nicht die einzige Maßnahme, die nötig gewesen war. Aber die Bäume sieht man sofort. Vieles hat sich geändert. Man fährt mit dem Fahrrad durch die Stadt, mit der Eisenbahn durchs Land, Privatpersonen haben keine eigenen Autos, in manchen Städten ist der Privatbesitz von PKW sogar verboten worden. Biologische Kraftstoffe kommen in der Luftfahrt zum Einsatz. Die erneuerbaren Energien sind überall präsent, viele Familien versorgen sich dezentral mit eigenen Anlagen. Clevere technologische Lösungen haben unseren Umgang mit Energie sparsamer gemacht. Gebäude sammeln Regenwasser und es wird vor Ort aufbereitet. Lokale Märkte haben an Bedeutung gewonnen, viel geschieht auf kurzen Wegen. Das hat auch den lokalen Gemeinschaften gutgetan. Man kennt sich. Was man vor Ort nicht bekommt, produziert man häufig auf 3D-Druckern. Der Staat hat das Steuersystem umgestellt. Fleisch, Zucker, fettes Essen sind höher besteuert. Das hatte auch positive Auswirkungen auf das Gesundheitssystem.
Um in diese Welt zu gelangen, benötigen wir eine neue Lebenseinstellung: „We believe three mindsets are fundamental to us all in our pursuit to co-create a better world. With intentional provocation, we call them Stubborn Optimism, Endless Abundance and Radical Regeneration.“ (S. 51). Sturer Optimismus sei die Kraft, die es uns ermöglicht, eine neue Realität zu schaffen. Optimismus sei ein notwendiger Input, um unser Engagement zum Erfolg zu führen. Unendlicher Überfluss stehe keineswegs für physische Ressourcen: „The realisation of abundance is not an illusory increase in physical resources, but rather an awareness of a broad array of ways to satisfy needs and wants so that everyone is content.“ (S. 75) Die dritte Einstellung zum Leben, die „Radikale Regeneration“, wird verständlich, wenn man sich unser Verhalten im Familien- und Freundeskreis vor Augen führt: Wir profitieren hier voneinander, geben Aufmerksamkeit und Zuwendung, und erhalten diese. Immer wieder sorgen wir dafür, dass dieser Zustand aufrecht bleibt. Wir investieren in Freundschaften, stärken Familienbande. Dieses Verhalten, das uns also bekannt ist, muss auch über diesen Kreis hinaus angewendet werden: Eben auch auf die Natur. Wir können von ihr nur so viel nehmen, wie wir ihr zu regenerieren erlauben und dabei helfen.
Die Ausführungen der beiden bleiben nicht abstrakt. Neben einer guten Zukunft und der Aufforderung, die eigene Einstellung weiterzuentwickeln, wird uns auch gesagt, was die zehn wichtigsten Dinge sind, die geschehen müssen. Ganz vorne steht die Aufforderung an uns alle, bereit zu sein, die alte Welt hinter uns zu lassen und eine Vision einer besseren Zukunft zu haben und zu pflegen. Um in diese Richtung zu kommen, müsse man die Wahrheit verteidigen und sich als Bürger und Bürgerin, nicht als konsumierendes Individuum einbringen. Konkret sollte unsere Gesellschaft versuchen, ohne fossile Energie auszukommen und Aufforstungsprogramme unterstützen. In der Wirtschaft müssen Investitionen in Richtung sauberer Produktionsweisen fließen. Neue Technologien werden Gutes und Schlechtes bringen können, Staaten und die Zivilbevölkerung werden bewusst entscheiden müssen. Schließlich gelte es durch Gender-Gerechtigkeit mehr Menschen und deren Fähigkeiten einzubinden. All das wird nicht passieren, wenn man sich nicht in der Politik engagiert.
Damit auch wirklich niemand das Buch aus der Hand legt, ohne aktiv zu werden, kommt nach den Vorschlägen gleich eine Liste, was man im Jetzt anpacken könne. So tragen uns Christiana Figueres und Tom Rivett-Carnac von der Idee einer schönen Welt bis zum konkreten Tun hier und heute. „This is one of the most inspiring books I have ever read“, meint auf jeden Fall der Historiker Yuval Noah Harari.
Einmal die Zeit nehmen, sich eine gute Welt vorzustellen
Klar, man kann an etlichen Ecken und Enden des Buchs kritische Fragen stellen. Wenn die Veränderung einfach ist, warum ist so wenig gelungen? Warum werden bestehende Machtverhältnisse nicht reflektiert? Ist die beschriebene Welt wirklich für jeden gleich attraktiv? Und wer soll eigentlich in der perfekten Welt kontrollieren, dass Menschen nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen?
Aber trotzdem: Literatur, die sagt, warum wir es kaum mehr schaffen werden, die Klimakrise abzuwenden, gibt es. Literatur, die erklärt, warum ökonomische Verhältnisse eine zerstörerische Dynamik auslösen, gibt es. Vielleicht ist es gerade nicht anstelle dieser Literatur, sondern zum Ertragen ebenjener nötig, sich einfach einmal die Zeit zu nehmen, sich eine gute Welt vorzustellen. Sie zu bauen haben wir das Kapital, die Technologien und die Ideen. Das Buch leistet dazu seinen Beitrag.