Epidemiologie und Gesundheitswissenschaft

Ausgabe: 1990 | 1

Während Krankenanstalten in der Größenordnung von Stadtteilen und voluminöse Versicherungskomplexe davon Zeugnis ablegen, dass sich die Medizin als Krankheitslehre und therapeutische Praxis etabliert hat, ist es hierzulande um die Ausbildung der Gesundheitswissenschaft vergleichsweise schlecht bestellt.  In Anknüpfung an die Anliegen der Sozialmedizin und Sozialhygiene geht es dabei primär um die Rückbindung an gesamtgesellschaftliche Prozesse und Zusammenhänge: Aspekte der Soziologie, Demographie, Biologie und Ökologie und Strategien politischer Umsetzung werden gleichermaßen berücksichtigt. Entsprechend bunt ist die Palette der behandelten Themen: Die Analyse von Ausmaß und Möglichkeiten der Prävention von "Volkskrankheiten" wie Karzinomen und chronischer Bronchitis führt den Verfasser zu der These, dass "Gesundheitspolitik in erster Linie soziale Prävention" bedeutet, und demnach Aspekte der sozialen Sicherung und Lebensqualität einzubeziehen habe ..Am Beispiel Luftverschmutzung macht Borgers die Dilemmata "Interessierter Planung" deutlich: Sind Ökologen und Umweltbesorgte vorwiegend "blind" für die ökonomischen Ursachen von Emissionen so zeigen Unternehmer kein Interesse für deren medizinischen Auswirkungen und bestimmen überwiegend selbst über das zumutbare Maß der Schadstoffreduzierung. Folge ist, dass "der offenkundige Verzicht des Staates auf die Begründung und Durchsetzung einer gesamtökologischen Planung mit ökonomischen Interventionsmöglichkeiten (... ) sich politisch nur legitimieren (lässt), wenn die herrschende ,Entsorgungsplanung' als die beste aller möglichen gefeiert wird." . Fragen der Risikomedizin (Bluthochdruck) und Orientierungslinien für die Gesundheitspolitik (Tabakindustrie, medizinische Technikfolgenabschätzung im Vergleich mit sozial orientierter Pflege) runden u. a. diesen Band ab, dessen Veröffentlichung auf die Einrichtung eines Studienzweiges "Gesundheitswissenschaft an der Universität Bielefeld zurückzuführen ist. Zum Thema siehe auch: ,Medizin' für die Medizin. Arzt und Ärztin zwischen Wissenschaft und Praxis. Festschrift für Hannes G. Pauli. Basel: Helbing & Lichtenhahn, 1989. 493 S. Die Beiträge spiegeln die vielseitigen Interessen, Arbeitsgebiete und Kontakte eines die Fachgrenzen in unüblicher Weise sprengenden Mediziners wider. 

Borgers, Oieter: Epidemiologie und Gesundheitswissenschaft. Hamburg: Argumente-Verl., 1989. 302 S., DM 28,- / sFr 23,70 / öS 218,40