Vielfach wird heutzutage über die Krise der Demokratie diskutiert. Doch ist die Demokratie wirklich im Krisenmodus? Warum feiern populistische Parteien gerade jetzt Erfolge? Philip Manow zeigt in seinem Buch, dass Populismus nicht immer anti-demokratisch sein muss, und dass Globalisierung und Denationalisierung wichtige Erklärungsfaktoren für den Erfolg dieser Bewegungen sind.
Manow erkennt weniger eine Krise der Demokratie als eine der Repräsentation. Dass es zu einer Krisenwahrnehmung komme, sei dem Versagen der Mitte geschuldet, aber nicht dem Populismus: „Die Populisten sind nicht das Problem der repräsentativen Demokratie. Sie zeigen nur an, dass sie eines hat.“ (S. 22f.) Manow beanstandet somit, dass sich entsprechende Kritikerinnen und Kritiker am Populismus abarbeiten, die aktuellen Schwächen der repräsentativen Demokratie aber nicht erkennen und thematisieren würden.
Ursprünglich sollte das System der Repräsentation die von vielen Philosophen gefürchtete „Pöbel-Herrschaft“ verhindern – ein Denken, das sich bis weit ins 19. Jahrhundert hielt. Im 20. Jahrhundert wurden Demokratien inklusiver, gleichzeitig hielt sich das System der Repräsentation. Das bedeutete aber auch, dass Meinungen bzw. Bevölkerungsteile, die als nicht repräsentierbar galten, auch nicht repräsentiert wurden. Dies wird vom Populismus zunehmend in Frage gestellt: Repräsentation ist für Populisten eine „Kaschierung blanker Elitenherrschaft“, die durch Liberalisierung, Globalisierung und Europäisierung zur Entpolitisierung beiträgt. Gemeinsam mit der Erosion nationalstaatlicher Macht wird dies als Kontrollverlust erlebt, den populistische Parteien gezielt aufgreifen.
Machtgewinn für populistische Stimmen
Die Repräsentationskrise führt paradoxerweise durch die Ausweitung von Partizipationsmöglichkeiten auch zu einem Demokratisierungsschub, mit der Konsequenz, dass populistische Stimmen an Macht gewinnen. Sowohl traditionelle als auch soziale Medien spielen dabei eine wichtige Rolle: erstere, weil sie in ihrer Dramatisierungslogik eben diesen Stimmen permanent eine Bühne geben, zweitere, weil diese ungefiltert kostenlose Bühnen für alle schaffen – und das mit schwerwiegenden Konsequenzen: „Die Enden der Verteilung, der long tail, die extremeren Positionen, die Außenseiterpräferenzen, die bislang durch etablierte Mechanismen, eingespielte Verfahren und intermediäre Instanzen verlässlich herausgefiltert wurden, nehmen dadurch plötzlich regen Anteil an dem, was man Öffentlichkeit nennt. Zugleich werden die Enden der Verteilung selbst ‚dicker‘, die Normalverteilung wird flacher, sie franst zu den Extremen hin aus, weil extremere Positionen mit Aufmerksamkeitsprämien rechnen können.“ (S. 112f.)
Parallel zu dieser problematischen Form von Demokratisierung laufen jedoch Prozesse der Entdemokratisierung ab, festzumachen etwa an der Aushöhlung nationalstaatlicher Institutionen: zum Beispiel, wenn politische Auseinandersetzungen nur mehr vor Gericht ausgehandelt werden, weil es den Parlamenten an politischer Handlungsfähigkeit fehlt. Erkennbar sind Tendenzen zur Entdemokratisierung auch dann, wenn Gegnerinnen und Gegner bestimmter politischer Positionen oder Entscheidungen vorschnell mit dem Vorwurf des Antidemokratischen zur Hand sind.
Ohne Nationalstaat keine Demokratie
Die große Herausforderung bleibt nach Manow der Umgang mit dem Nationalstaat und seinen Institutionen. Sie sind fundamental für funktionierende Demokratien, mehr noch: Ohne Nationalstaat keine Demokratie, denn universale Demokratien, die gleichzeitig die für Demokratien essentielle Volkssouveränität schützen, gebe es nicht. Das zeigt sich auch bei der Europäisierung: „So hat die Europäische Union nicht nur ein Demokratiedefizit, sondern generiert eines für ihre Mitgliedstaaten.“ (S. 162) Für Manow ist die von Populistinnen und Populisten gezielt propagierte Rückkehr von Nationalitäts- und Identitätsfragen eine logische Konsequenz aus entpolitisierender Liberalisierung und Internationalisierung. Mehr Diskussion über Repräsentation und demokratische Institutionen wären gefragt, anstatt den Tod der Demokratie heraufzubeschwören.
Manows Auseinandersetzung mit dem Populismus ist auch eine kritische Auseinandersetzung mit dessen Kritikerinnen und Kritikern, gerade auch der Linken, die sich zwar querdenkerisch gibt, aber wenig zur Stabilisierung angeschlagener demokratischer Institutionen beiträgt. Das Buch lädt ein, die oft beklagte Krise der Demokratie mit anderen Augen zu sehen. Unklar bleibt indes, warum der Autor den Nationalstaat als einzigen sinnvollen Referenzrahmen für Demokratie sieht: Zumindest was eine Demokratisierung Europas anbelangt, gibt es eine Reihe von spannenden Konzepten, die zeigen, dass Demokratie und Repräsentation auch jenseits des Nationalstaates gedacht werden kann.