Adom Getachew

Die Welt nach den Imperien

Ausgabe: 2023 | 3
Die Welt nach den Imperien

Die Politikwissenschaftlerin Adom Getachew hat sich den Entkolonialisierungsprozess genauer angesehen. Vor allem die politisch-theoretischen Denker:innen des 20. Jahrhunderts, die Ideen für die Selbstbestimmung formulierten. Das Buch zeichnet die weltweiten Dekolonialisierungsideen nach, die in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg große Bedeutung hatten. Die Autorin vertritt dabei die These, dass die Dekolonialisierung ein Vorhaben zur Neugestaltung der ganzen Welt war, das auf die Errichtung einer herrschaftsfreien und egalitären internationalen Ordnung abzielte. Antikolonialer Nationalismus wird bei ihr als Anliegen zur Weltgestaltung gesehen. Wichtig ist bei Getachew der Begriff des Imperiums, den sie als „Fremdherrschaft in den internationalen Strukturen ungleicher Integration und rassifizierter Hierarchie“ (S. 19) beschreibt.

Antikolonialen Nationalismus und Aktivismus

Die antikolonialen Nationalist:innen hätten drei verschiedene Vorhaben verfolgt. Die Institutionalisierung eines Rechts auf Selbstbestimmung bei den Vereinten Nationen, die Bildung regionaler Föderationen und die Forderung nach einer einen neuen Weltwirtschaftsordnung.

Die Ideen der Weltgestaltung dieser politischen Denker:innen bettet sie ein in eine Geschichte anti-systemischer Vorhaben ab der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation im Jahr 1864. Anti-imperiales Denken in marxistischer Tradition inspirierte Anti-Kolonialist:innen in der Zwischenkriegszeit. Getachew stellt diese im Buch vor. Ihr Fokus gilt aber der Entwicklung nach 1945. „Dieses Buch zeigt, dass der antikoloniale Nationalismus im Zeitalter der Dekolonialisierung nicht den Kollaps des Internationalismus und die Auflösung alternativer Konzeptionen einer postimperialen Welt markierte, sondern vielmehr auch weiterhin die Hinterlassenschaften der imperialen Hierarchie mit der Forderung nach einer radikalen Neuauflage der internationalen Ordnung konfrontierte“ (S. 23).

Die Autorin unterscheidet zwei Generationen dieser Denker:innen. Für die Phase bis zum Zweiten Weltkrieg bauten auf den Vorarbeiten von W.E.B. Du Bois Aktivist:innen wie Eric Williams aus Trinidad, der nigerianische Nationalist Nnamdi Azikiwe und Kwame Nkrumah auf, der in Accra auf Azikiwe traf. Als wichtige Vertreter der zweiten Generation werden Michael Manley und Julius Nyerere vorgestellt, die beide bereits damit konfrontiert waren, dass die Versprechen der Kommunistischen Internationale mittlerweile kaum mehr Attraktivität besaßen, bzw. sich „gerade in Luft aufgelöst“ hatten (S. 30).

Die Autorin beschreibt damit eine Periode antikolonialen Aktivismus, der heute in der Defensive ist. Im Nachklang zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kam es zu einer weltweiten Zurückdrängung der Idee der Selbstbestimmung und gleichzeitig zu einer Schwächung der globalen Institutionen. Das markierte „den Abschluss jenes historischen und politischen Moments, der die antikoloniale Weltgestaltung möglich gemacht hatte“ (S. 332).