In den Fachzirkeln der politischen Philosophie tobt die Debatte um das Konzept einer "guten Gesellschaft" zwischen konservativen, liberalen und kommunitaristischen Denkern bereits seit vielen Jahren. Den Weg in die Feuilletons und damit zu einem breiteren Publikum hat dieser ”Expertenstreit" aber erst in jüngster Zeit gefunden. Vor allem die Werke des kommunitaristischen Vordenkers Michael Walzer haben im deutschsprachigen Raum viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nun hat auch Amitai Etzioni, Kommunitarist der ersten Stunde, ein neues Buch vorgelegt, dem breite Aufmerksamkeit zu wünschen ist. Der 1929 in Köln geborene Soziologe formuliert darin seine "neue goldene Regel": "Achte und wahre die moralische Ordnung der Gesellschaft in gleichem Maße, wie Du wünschst, daß die Gesellschaft Deine Autonomie achtet und wahrt." Einmal mehr variiert der Motor der kommunitaristischen Bewegung die Grundaussage der Kommunitaristen, wonach der Mensch nur als sozial eingebundenes Wesen in den modernen Massengesellschaften seine Autonomiebedürfnisse ausleben kann. Anders als die Liberalen um John Rawls glaubt der Professor an der George Washington University und der Harvard Business School, daß das "ungebundene, nach Verwirklichung seines Selbst strebende Individuum" Rawlsscher Prägung auf Dauer seine eigenen gesellschaftlichen Grundlagen untergräbt. Kommunitäre Gesellschaften müßten ein Gleichgewicht zwischen ordnungsstiftenden und autonomiefördernden Kräften bewahren. Dabei könnten, je nach Lage der Dinge in den jeweils betroffenen Gesellschaften, Entwicklung zu beiden Polen hin nötig sein. Auf die Kritik liberaler Denker eingehend, der Kommunitarismus sei sozialkonservativ, ja autoritär, legt Etzioni das Konzept eines ”responsiven Kommunitarismus" dar, dessen grundlegenden sozialen Werte eine auf Freiwilligkeit beruhende moralische Ordnung und eine weitgehende, jedoch gebundene Autonomie des Individuums sind, daß gemeinsame substantielle Werte bedeutend seien, heiße jedoch nicht, daß diese Werte einen unveränderten Kanon bildeten, der von einer Generation an die nächste weiterzugeben sei. Vielmehr müsse der substantielle normative Gehalt eines gemeinsamen Rahmens fortwährend an die sich verändernden Verhältnisse angepaßt werden. Der Kommunitarismus als "dritter Weg" der politischen Philosophie? Die Notwendigkeit, sich über die Zukunft der modernen Gesellschaften vor dem Hintergrund der gescheiterten Konzepte des Konservatismus wie des Liberalismus, der sich im wirtschaftlichen Bereich als Neoliberalismus gerade mit verheerenden Folgen austobt, ist offenkundig. Auch wenn man nicht allen Detailvorschlägen der Kommunitaristen, beispielsweise der Einführung von Schuluniformen, folgen mag: Wichtige Denkanstöße kann diese Denkschule allemal geben. E H.
Etzioni: Amitai: Die Verantwortunggesellschaft. Individualismus und Moral in der heutigen Demokratie. Frankfurt/M.: Campus-Verl., 1997. 375 S.