Michael Seemann

Die Macht der Plattformen

Ausgabe: 2023 | 1
Die Macht der Plattformen

Welche gesellschaftliche Stellung nehmen Plattformen wie Facebook, Twitter oder auch Uber ein? Michael Seemann zufolge sind diese Unternehmen die neuen Herrschaftszentren unserer Zeit. „Plattformen bringen nicht nur Ordnungen ins Wanken, sie sind selbst die neue Ordnung.“ (S. 18) Welche Macht Plattformen innewohnt sowie deren Konsequenzen aber auch Anregungen zu einer neuen Netzpolitik werden in „Die Macht der Plattformen“ ausführlich besprochen.

Einleitend führt der Kulturwissenschaftler und Medientheoretiker in die Genese der Plattformen ein, erklärt wesentliche Merkmale und technische Zusammenhänge. Plattformen, so der Autor, stellen primär eine Infrastruktur bereit, welche Interaktionen ermöglicht, also als Matchmaker fungiert um. Da sich Nutzer:innen für solche Plattformen meist registrieren müssen, verfügen Diensteplattformen über eine hohe Level-1-Kontrolle (Zugang) sowie über eine sehr hohe Level-2-Kontrolle (Selektion der Inhalte). Dieser hohe Grad an Kontrolle ist es, was Dienstleisteplattformen heutzutage so relevant macht.

„Der eigentliche Wert eines Telefonnetzes hängt vollständig von der Verteilung und Anzahl anderer Mitglieder derselben oder anderer Gemeinschaften ab, die mit demselben oder damit verbundenen Systemen verbunden sind, mit Hilfe derer jeder Anschlussinhaber eine sofortige und befriedigende Kommunikation führen kann.“ (S. 89) Mit diesem Zitat von Theodore Newton Vail, dem ersten Vorstandsvorsitzenden des Telefonunternehmens AT&T sind Netzwerkeffekte damals wie heute kompakt erklärt. Hat eine (Dienstleiste)Plattform erst eine ausreichend große Zahl an Nutzer:innen erreicht, kommen künftige Anwender:innen nicht umher, sich für die selbe Plattform zu registrieren, wenn sie mit möglichst vielen Menschen unkompliziert in Kontakt treten möchten. Diesen Sog nennt der Medientheoretiker „soziale Gravitation“, da, ähnlich wie beim eigentlichen Konzept der Gravitation, „wachsende Masse immer mehr Masse anzieht“ (S. 88).

Zur demokratiepolitischen Bedeutung

Neben dem „zwanglosen Zwang“, welchen Plattformen auf potentielle Nutzer:innen ausüben können ist gerade die Level-2-Kontrolle von demokratiepolitischer Bedeutung: Es liegt in der Hand privat geführter Unternehmen, Politiker:innen auf Sozialen Plattformen eine Bühne zu bieten, Falschaussagen als diese zu deklarieren –oder eben nicht. Die Relevanz von Plattformen betrifft nicht zuletzt auch staatspolitische Agenden, insbesondere die Sicherheitspolitik. „Das Pentagon betrachtet ihn [Anm. Cyberkrieg] seit 2011 als vierte ‚operative Domäne‘ des Krieges nach dem Landkrieg, dem Seekrieg und dem Luftkrieg.“ (S. 267) Wenn es soweit kommt, sind Plattformen wie Google oft die letzte Verteidigungslinie von Staaten, denn ihre Ressourcen (Rechenkapazität, Datenleitungen, Sicherheitstechniken, etc.) überragen die der staatlichen Akteur:innen. Seemann präsentiert Beispiele, in welchen Plattformen Regierungen vor Hackerangriffen schützten, indem sie die Daten auf ihre eigenen Server übertrugen. „Es wundert deswegen kaum, dass auch der Cloudserver der US-Regierung, cloud.gov, auf Amazons Cloudplattform AWS läuft.“ (S. 268)

Nicht nur die vermeintliche Monopolstellung von Plattformen auch die Frage des Eigentums (Informationsgüter sind unendlich vermehrbar; Ökonomie der Unknappheit) und der Produktion (Commons Based Peer ppoduction, Open Source) stellen bisherige Marktlogiken vor neue Herausforderungen. Wesentlich ist, „dass Plattformen das Problem der Unknappheit damit lösen, dass sie Märkte quasi in Privatbesitz genommen haben. Amazon, Google, Facebook, Apple etc. sind also weniger Marktteilnehmer als Marktbesitzer.“ (S. 302) Diese scheinbare Monopolstellung ist aufgrund der Netzwerkmacht (soziale Gravitation) möglich. Dadurch, dass Plattformen die Angebotsseite des Marktes weitgehend kontrollieren, können sie auch in einer Ökonomie der Unknappheit Gewinne erzielen. Doch bleibt es bei einem scheinbaren Monopol, denn wenngleich Plattformen zwar über Netzwerkmacht verfügen, gibt es zu allen Angeboten sehr wohl Alternativen. Für Seemann ist es daher für ein fundiertes Verständnis der neuen politischen Ökonomie der Plattformen essenziell, den Fokus weg von Produktionsverhältnissen hin zu veränderten Machtdynamiken zu richten.

Eine beeindruckende Analyse

Das umfassende, unbedingt empfehlenswerte Buch endet mit zehn Prognosen Seemanns sowie vagen Lösungsansätzen. Staaten, die auf Open Source basierte Plattformen setzen bzw. diese weiterentwickeln bilden das Herzstück des möglichen Befreiungsschlages von monopolartigen aber jedenfalls mächtigen Plattformen. „Open Source und Öffentliche Hand sind natürliche Verbündete. Open Source ist ein überlegenes Konzept öffentlicher Software, das allerdings daran krankt, dass es schwer zu monetarisieren ist. Die öffentliche Hand wiederum hat einen Anspruch an Transparenz, und ihr sollte die Förderung von öffentlichen Gütern zur gesellschaftlichen Wohlfahrt naheliegen.“ (S. 378)