
„Die Lichtwandler“ stellt schon auf den ersten Seiten eine Frage in den Raum, die nicht nur die Wissenschaftscommunity, sondern auch interessierte Leser:innen nervös werden lässt: Haben Pflanzen ein Bewusstsein? Wer direkt „natürlich nicht“ ausrufen möchte, ist mit dieser Meinung in guter Gesellschaft und doch ist die Welt der Pflanzen komplexer als uns bisher bewusst war. Eben diese Komplexität und Anpassungsfähigkeit der Pflanzenwelt zeigt die Umweltjournalistin Zoë Schlanger in ihrem niedrigschwelligen und persönlich verfassten Buch auf. Ihre grundsätzliche Kritik an der Aberkennung von Bewusstsein und Intelligenz innerhalb der Pflanzenwelt behandelt die Definition von Bewusstsein, welche immer von menschlichem Bewusstsein bzw. Intelligenz ausgeht. „Dieser Anthropomorphismus ist gefährlich, weil er den Stellenwert dieser grünen Körper reduziert und keinen Raum für die Erkenntnis lässt, dass Pflanzen mehrere Sinne – oder sollte man sagen: Intelligenzen? – nutzen, die weit über die Fähigkeiten des Menschen auf diesen Gebieten hinausgehen“ (S. 43).
Bedenkt man, dass das Gewicht aller Pflanzen gut 80 Prozent der gesamten lebenden Materie unserer Erde ausmacht, erscheint es durchaus sinnvoll, sich näher mit diesen Organismen auseinanderzusetzen. Die Wissenschaftsgeschichte, welche im Buch einleitend erarbeitet wird, verdeutlicht, wie lange der Mensch bereits die Frage nach der vermeintlichen Intelligenz von Pflanzen behandelt und auch, welche Rückschläge unvorsichtig formulierte Publikationen für die Wissenschaft bedeuten können. So forschte Charles Darwin bereits in den 1860er Jahren zu Pflanzen, nachdem er sein wohl bekanntestes Werk „Über die Entstehung der Arten“ bereits publiziert hatte. In vielen Experimenten konnte der Wissenschaftler feststellen, dass Pflanzen über ein bemerkenswertes Bewegungsvermögen verfügen und beruft sich dabei auf die Pflanzenwurzeln, welche Hindernisse umgehen können, noch bevor sie tatsächlich darauf stoßen.
1973 erschien dann allerdings das Buch „Das geheime Leben der Pflanzen“ welches durch eine Mischung aus unwissenschaftlichen Forschungen und Mythen zwar unfassbar bekannt wurde, im Bereich der Forschung allerdings einen katastrophalen Schaden anrichtete, bisherige Forschung auf dem Gebiet der pflanzlichen Intelligenz verlor massiv an Glaubwürdigkeit. Dieses Trauma wirkt bis heute nach und zeigt sich in den vielen Gesprächen, welche Schlanger mit Wissenschaftler:innen weltweit führte. Wenngleich nämlich der Vergleich mit menschlichen Sinnen, wie Sehen, Hören oder auch Intelligenz bis zu einem gewissen Grad praktisch ist und der Veranschaulichung dient, so sehr muss man dennoch beachten, dass es sich um andere – nicht niederere – Formen von Intelligenz handeln kann.
Das Buch bietet eine Fülle an faszinierenden Eigenschaften und Fähigkeiten von Pflanzen, etwa jene der spontanen Reaktion: Auf einer ihrer vielen Forschungsreisen lernte Schlanger die Boquila trifoliolata kennen, eine Pflanze, die bis zu 20 und wahrscheinlich noch mehr Pflanzen in ihrer Gestalt imitieren kann. Ein und dieselbe Pflanze kann an verschiedenen Bäumen hochwachsen und jeweils deren Blätter nachahmen. Darüber hinaus ist sie in der Lage, innerhalb einer Generation neue Pflanzen nachzuahmen – was auch Dornen beinhalten kann. Diese kurzfristige Veränderung weist auf eine plastische Reaktion hin und übersteigt die bisher bekannte evolutionsbedingte Anpassungsfähigkeit bei weitem. Eine weitere bemerkenswerte Eigenschaft bestätigt Theorien einer sehenden Pflanze oder einer Pflanze mit Gesichtssinn, denn die Boquila kann auch Plastikpflanzen nachahmen, was etwa den Einfluss von Bakterien ausschließt. Warum all das möglich ist, ist nach wie vor unklar. Es gibt Hinweise darauf, dass ein „sehr altes Cyanobakterium, ein früher Vorfahr der Pflanzen“ (S. 263) ein kameraähnliches Auge besitzt. Wenn die Boquila nun aus einer Vereinigung mit diesem Organismus entstanden ist, könnte es sein, dass diese Fähigkeit nach wie vor vorhanden ist. Eine andere Theorie versucht herauszufinden, ob die Bakteriengemeinschaften der Pflanzen die Information zur äußerlichen Erscheinung in sich tragen und somit der Auslöser der spontanen Anpassung sein könnte.
Abseits der spannenden Fakten rund um Pflanzen gibt das Buch einen Einblick in das Leben von Wissenschaftler:innen und die Herausforderungen der Forschung, wenn es darum geht, neue Ansätze wissenschaftlich zu verarbeiten. In der Diskussion um das vermeintliche Bewusstsein von Pflanzen bietet sie eine wohltuend vielschichtige, offene Antwort: „Ob Pflanzen nun intelligent sind oder nicht, ist letztlich keine Wissenschaftliche, sondern eine soziale Frage. Die Wissenschaft wird weiterhin herausfinden, dass Pflanzen zu mehr in der Lage sind, als wir uns vorgestellt hatten. Wir anderen werden uns jedoch die Daten ansehen und unsere eigenen Schlussfolgerungen daraus ziehen müssen. Wie wollen wir dieses neue Wissen interpretieren? Wie wollen wir unsere Vorstellungen über das Leben auf der Erde einpassen? Das ist das eigentlich Aufregende“ (S. 378).