Friederike Otto

Friederike Otto: Klimaungerechtigkeit

Ausgabe: 2024 | 3
Friederike Otto: Klimaungerechtigkeit

Die globale Erwärmung ist mittlerweile neben den neuen geopolitischen Friktionen zu einem zentralen Thema der internationalen Debatten geworden, wie etwa ein warnender Bericht der Europäischen Umweltagentur vor kurzem zeigte. Wir verfügen über zahlreiche Studien, Prognosen, Szenarien, Grafiken und Temperaturkurven. Weniger im Blickfeld haben wir, dass der menschengemachte Klimawandel wesentlich auch ein soziales Problem ist, weil eben die Betroffenheiten von den Folgen der Erwärmung sehr unterschiedlich ausfallen. Diesem Thema widmet sich seit vielen Jahren Friederike Otto, bekannt geworden durch den mit ihrem Kollegen Benjamin von Brackel verfassten Bestseller „Wütendes Wetter“. In ihrem neuen Buch „Klimaungerechtigkeit“ richtet die Klimawissenschaftlerin den Scheinwerfer auf jene, die bereits jetzt massiv unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden.

Das 1,5-Grad-Ziel sieht die Autorin als ambivalenten „Kompromiss zwischen Toten, Schäden und Verlusten auf der einen Seite und Profiten aus dem Verbrennen fossiler Brennstoffe auf der anderen“ (S. 12). Im Klartext: Das 1,5-Grad-Ziel wird für viele Menschen dennoch Chaos und Zerstörung bedeuten. Otto macht deutlich, dass neben der Zunahme der Wetterextreme auch andere Faktoren eine Rolle spielen. Sie nennt drei davon: „Die Naturgefahr, die Art und Weise, wie wir ihr ausgesetzt sind – die Forschung spricht hier von Exposition –, und die Vulnerabilität, also die Verletzlichkeit, mit der wir ihr gegenübertreten“ (S. 14) Am Beispiel der dramatischen Überschwemmungen 2022 von Mai bis Oktober in Westafrika: Besonders betroffen waren die etwa 30 Millionen Bewohner:innen des Nigerdeltas in Nigeria, deren Hab und Gut einfach weggeschwemmt wurde. Es hätte in dieser Region schon längst ein Staudamm gebaut werden müssen, der das Wasser auffängt. Aber dieser wurde nicht gebaut, so Otto.

Exposition und Vulnerabilität

Zu den ungleich verteilten Folgen der zunehmenden Wetterereignisse kommen also die ungleichen Ressourcen, sich dagegen zu schützen. Exposition und Vulnerabilität sind für Otto daher Faktoren, die beide in den Blick genommen werden müssen. Eine Schlussfolgerung der Autorin: „Was mich Extremereignisse vor allem gelehrt haben, ist, dass die Klimakrise eine Krise ist, die hauptsächlich durch Ungleichheit und die nach wie vor unangefochtene Vorherrschaft patriarchaler und kolonialer Strukturen geprägt ist, die zudem verhindern, dass ernsthaft Klimaschutz betrieben wird“ (S. 18). Es gehe bei Klimapolitik daher um Menschenrechtspolitik. Otto dazu pointiert: „Das Pariser Klimaabkommen ist ein Menschenrechtsvertrag, kein Vertrag zum Schutz von Eisbären und kein Almosenvertrag zur Unterstützung des Globalen Südens“ (S. 26).

„Hitze“, „Dürre“, „Feuer“ und „Flut“ lauten die Kapitel des Buches. In diesen macht die Klimaforscherin an zahlreichen Beispielen deutlich, wie ungleich nicht nur die Treibhausgas-Emissionen nach Ländern und sozialen Schichten verteilt sind, sondern auch die Folgen davon. Dabei gibt es durchaus wissenschaftlich geführte Datenbanken über Katastrophen, doch die Datenlage sei zum Beispiel für Afrika aufgrund nur rudimentärer Wetterdienste völlig unzureichend, zudem würden beispielsweise Hitzewellen je nach Region sehr unterschiedlich definiert. Otto spricht neben dem Feilschen um die Entschädigungszahlungen für Klimaschäden – man spricht hier von „Attributionsforschung“, also wieweit Schäden dem menschengemachten Klimawandel zuzurechnen sind, auch von einem „medialen Faktor“: „Internationale Medien interessieren sich nicht für das, was in Afrika passiert“ (S. 85). Kritik übt die Autorin auch an der praktizierten Entwicklungszusammenarbeit, die viel zu wenig auf den Klimawandel abgestimmt sei. Beispielsweise bräuchten afrikanische Länder bedeutend mehr Frühwarnsysteme und Anpassungsstrategien.

„Und jetzt?“ – so die Frage im Schlusskapitel. Otto kritisiert das Arbeiten mit der Angst etwa im Kontext von Kipppunkten („Angst macht Auflage, doch zum Handeln regt sie nicht an.“ S. 291), sie plädiert vielmehr dafür, die Auswirkungen des Klimawandels auf konkrete Menschen und zudem die Co-Benefits von wirksamer Klimapolitik für Lebensqualität, Gesundheit u. a. in den Mittelpunkt zu stellen.

Ein Buch, das aufrütteln möchte

Resümee: Ein Buch, das aufrütteln möchte. Ein Plädoyer dafür, die Klimakrise nicht ausschließlich als physikalisches Problem, sondern vor allem als gesellschaftliches zu thematisieren. Denn: „Natürlich brauchen wir eine Transformation dessen, wie wir Energie gewinnen. Vor allem aber brauchen wir eine Transformation dessen, wer wie am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, wie politische und wirtschaftliche Macht genutzt wird, wer die Entscheidungen trifft“ (S. 28).