„Ich habe meine Orientierung und meinen Halt verloren. Hinter mir, vor mir, neben mir, oben am Himmel und unter meinen Füßen sehe ich nichts als Anzeichen dieses Durcheinanders. Wohin ich den Blick auch wende, überall erkenne ich die verstörenden Spuren meines Seins und Tuns“ (S. 19) – schreibt der Soziologe Nikolaj Schultz, der zuletzt und gemeinsam mit Bruno Latour „Zur Entstehung einer ökologischen Klasse“ veröffentlichte und damit einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Hier nun seine erste eigenständige Publikation, eine ethnografiktive Erzählung, so der Autor. Schultz ist überzeugt, dass wir für uns als in dieser Welt Seiende, als im Anthropozän Lebende, neue analytische, stilistische und narrative Ansätze benötigen, um uns bei all der Veränderung neu zurechtzufinden, neu zu ordnen. Und eben solche liefert er mit diesem Büchlein.
Wenn Schultz nun – seinen Weg, seine Emotionen und Gedanken beschreibend – von seiner Pariser Wohnung aus auf die Insel Porquerolles segelt, so geschieht dies aus dem Beweggrund heraus, Abstand zu gewinnen. Abstand zu seinen intensiven Auseinandersetzungen mit existenziellen Fragen unseres Zeitalters wie dem Bewerten von individueller Verantwortung oder dem Suchen nach ethischer und ökologischer Orientierung. Abstand findet Schultz auf der Insel nicht, ob diverser Begegnungen und Erlebnisse vielmehr ein dezidiertes Nicht-Entrinnen-Können, eine konzentrierte Konfrontation mit seinen Überlegungen, wie der „Wahrnehmung der vielen verschiedenen Wesen und Existenzen, von denen ich in meinem Sein abhänge. [...] das Verständnis, dass ich, ein Mensch, der auf diese Wesen angewiesen ist, heute an der Vernichtung solcher Wesen – und damit der Lebensgrundlage anderer Menschen – beteiligt bin“ (S. 26). Dabei verzahnt der Autor analytische Beobachtungen mit philosophischen Gedankenverknüpfungen und dem Überdenken soziopolitischer Konzepte, sein buchstäbliches Suchen nach Orientierung auf der Insel wird zu einer Suche nach dem Ich einer ganzen Generation, die sich nicht nur, aber vor allem auch fragen muss, wie ein neues Modell von Freiheit verstanden werden könnte, das sich durch Umsichtigkeit und Pflege vielfältiger Entitäten auszeichnet. Wie nun also aus der aktuellen Orientierungslosigkeit finden? Vielleicht liegt der Hinweis einer Antwort gerade im Erkunden der unbekannten Insel: „Indem ich ständig zwischen den Koordinaten auf der Karte und der Straße vor mir hin und her wechsele, gelingt es mir, den richtigen Weg zu finden.“ (S. 47)