Christian Lammert, Boris Vormann

Die Krise der Demokratie

Ausgabe: 2019 | 1
Die Krise der Demokratie

Für Christian Lammert und Boris Vormann, Politikwissenschaftler in Berlin, ist der Vormarsch von Populisten nur ein Symptom einer weiter gefassten demokratischen Systemkrise, die sich vor allem aus dem Neoliberalismus und der mit ihm propagierten „Politik der Alternativlosigkeit“ speist.

Der Neoliberalismus hat seit den 1990er Jahren als „Dritter Weg“ das gesamte politische Spektrum dem Marktdiktat unterworfen. Die Alternativlosigkeit des Primats der Märkte wurde dabei zur Einheitsdenke, die keine Gegenentwürfe mehr zuließ. Dies bedeutete nichts anderes als eine Entpolitisierung der Politik – denn wo es keine Alternativen gibt, kann es keine politische Debatte mehr geben: „Im Kern ist die Krise daher eine Krise der Entpolitisierung“ (S. 60). Mit der Finanzkrise 2008 bekam der entfesselte Markt einen Dämpfer – jedoch wurden die Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt und damit eine Staatsschuldenkrise „erfunden“, deren austeritätspolitische Maßnahmen die Situation ökonomisch prekarisierter Bevölkerungsschichten noch verschärfte.

In das Vakuum einer immer weniger legitimierten Politik stoßen nun DemagogInnen vor, die den Abgehängten vermeintlich eine Stimme geben – und dabei nicht nur den wirtschaftlichen, sondern auch den politischen Liberalismus ins Wanken bringen. Die Autoren schließen daraus, dass es keinen plötzlichen Rechtsruck in der Gesellschaft gibt, sondern vielmehr eine apathische Mitte, die das Feld den PopulistInnen überlässt. Diese greifen dabei nicht nur auf xenophobe Ressentiments und Nationalismus zurück, sondern versprechen eine nationale, soziale und wirtschaftliche Solidargemeinschaft – etwas, das in den letzten zwei Jahrzehnten zerbröselte und nach der sich viele Menschen sehnen.

Unterschiedliche Formen der Demokratiekrise

Die Krise der Demokratie nimmt unterschiedliche Formen an: In den USA scheint laut Vormann und Lammert die Krise als „Gegenbewegung“ zum Status quo auf, im Kontext einer polarisierten Gesellschaft, an deren unterem Ende es keine Aussicht auf wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg gibt. Zusammen mit einer traditionellen Skepsis gegenüber der Regierung sei somit eine Atmosphäre entstanden, die den Aufstieg Trumps ermöglicht hat, der letztendlich aber nur ein Symptom und nicht die Krise selbst ist: „Das grundsätzliche Misstrauen in den Staat ist in eine Verweigerungshaltung umgeschlagen, die für jedes Übel die Regierung verantwortlich macht – gleichzeitig aber verkennt, dass es genau jener Rückbau staatlicher Sicherungssysteme war, der den Brandherd der Krise ansteckte und beschleunigte.“ (S. 108)

Die Krise der Demokratie in Europa ist, so die Autoren, komplexer, da es sich um mehrere parallelen Krisen handelt – innerhalb der Nationalstaaten, im Verhältnis der Nationalstaaten zur EU und auch zueinander als EU-Mitglieder. Das zentrale Problem der EU sei ihr „Geburtsfehler“, der eine rein wirtschaftliche Gemeinschaft vorsah und – selbst nach der Schaffung einer politischen Union – Demokratisierung viel zu zögerlich betrieb. Ähnlich wie in den USA ist auch in Europa die Ungleichheit stark angewachsen. Die Finanz- und Eurokrise wurde durch milliardenschwere Bankenrettungspakete zu einer Staatskrise umgewandelt, die auch das Verhältnis zwischen Nord- und Südeuropa erschütterte.

Die Zukunft demokratischer Gefüge

Wie muss Demokratie heute aussehen, um Bestand zu haben? Vormann und Lammert beklagen, dass die Krise der Demokratie verkürzt als antiliberale Revolte interpretiert und damit das eigentliche Problem ignoriert wird: „Diese Interpretation (...) lenkt auf zynische Art und Weise vom eigentlichen Problem der westlichen Demokratien ab, um am alten Kurs einer alternativlosen Politik festhalten zu können.“ (S. 172) Die Krise sei jedoch nicht unüberwindbar: Politik muss wieder in den Vordergrund rücken und Märkte müssen den Gesellschaften dienen.

Dazu gehört ein gesundes Verhältnis zwischen Nationalstaat und der Idee von Subsidiarität einerseits und die Lösung grenzüberschreitender Probleme auf supranationaler Ebene. Die Nation wird dabei als inklusive Solidaritätsgemeinschaft verstanden, die allen ein soziales Sicherheitsnetz bietet. Staaten sind aber auch untereinander solidarisch, was eine Umverteilung zwischen Nord und Süd impliziert. Schlussendlich ist jeder einzelne Bürger und jede einzelne Bürgerin gefordert, reflektiert und solidarisch zu handeln und sich wieder in ein mündiges politisches Subjekt zu verwandeln.