Sascha Mounk

Der Zerfall der Demokratie

Ausgabe: 2019 | 1
Der Zerfall der Demokratie

Geht es Ziblatt und Levitsky in "Wie Demokratien sterben" darum, uns für die Gefährdung der Demokratie zu sensibilisieren und dagegen zu kämpfen, erklärt Yascha Mounk, wie es überhaupt zur Krise der Demokratie kommen konnte.

Aktuelle Entwicklungen deuten darauf hin, dass Demokratie keine Einbahn, sondern umkehrbar ist und dass Liberalismus und Demokratie, lange als „unzertrennliche Einheit“ (S. 13) gesehen, ohne einander existieren können. Die illiberalen Demokratien findet sich dort, wo Populisten das System gekapert haben. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie gewählte Regierungen haben, die den „Volkswillen“ umsetzen – aber auf Kosten von Minderheiten, der freien Medien und richterlicher Unabhängigkeit.

Im Gegensatz dazu laufen die westlichen Demokratien Gefahr, sich in einen Liberalismus ohne Demokratie zu entwickeln. Tatsächlich wurde der politische Handlungsspielraum über die Jahrzehnte immer geringer: durch Mitgliedschaft in internationalen Organisationen und damit einhergehenden Verpflichtungen, durch eine expandierende Verfassungsrechtsprechung und mächtige Zentralbanken, durch den wachsenden Einfluss von Bürokratien. Das Parlament wurde damit zunehmend entmachtet. Ein besonderes Problem ist auch Lobbyismus, vor allem in den USA, wo Großspender die politische Agenda diktieren. Die Konsequenz: „Viele Wähler erkennen weder sich in ihren Politikern wieder noch ihre Interessen in der Politik.“ (S. 75)

In jenen Staaten mit erodierenden demokratischen Institutionen gab es lange vorher eine Vertrauenskrise. BürgerInnen stellen die Demokratie immer mehr in Frage, und hier vor allem junge Menschen aus wohlhabenderen Schichten. In den USA ist der Trend besonders besorgniserregend: „Noch 1995 waren wohlhabende Amerikaner deutlich weniger geneigt, einer Militärherrschaft zuzustimmen, als ihre ärmeren Landesleute. Heute hat sich das ins Gegenteil verkehrt. Wie rasch dieser Wandel vonstattenging, zeigt sich an der Bereitschaft junger, reicher Amerikaner, eine Militärherrschaft zu befürworten. Vor 20 Jahren war dies nur bei 6 Prozent von ihnen der Fall. Seither hat sich der Anteil fast versechsfacht – und liegt nun bei 35 Prozent.“ (S. 131)

Vielfältige Gründe für wachsende Ablehnung der Demokratie

Die Gründe für die wachsende Ablehnung der Demokratie sind vielfältig. So haben soziale Medien das Kommunikationsverhalten völlig verändert und setzen politische Eliten unter Druck – mit positiven wie auch negativen Konsequenzen für die Demokratie. Ein großes Problem stellen wirtschaftliche Abstiegsängste dar: Das Wirtschaftswachstum hat sich verlangsamt, der Wohlfahrtsstaat wird untergraben – und in der ganzen westlichen Welt müssen sich junge Menschen auf reale Einkommensverluste einstellen. Das unterminiert das Vertrauen in die Politik – auch jener Menschen, die über eine solide ökonomische Basis verfügen. Auch der Kampf um Identität hat sich als Quelle für die aktuelle Krise herausgestellt: Waren nach den Massenmorden im Zweiten Weltkrieg die westlichen Demokratien ethnisch homogen, hat sich das in den letzten 20 Jahren rapide verändert. Der Aufstieg von Populisten kann auch als Rebellion gegen Pluralismus verstanden werden.

Was man gegen den Zerfall der Demokratie tun kann

Erfreulicherweise diagnostiziert Mounk nicht nur, sondern er widmet sich ausführlich der Frage, was man konkret gegen den Zerfall der Demokratie tun kann. Ein einfaches, aber probates Mittel ist der Straßenprotest gegen jene, die die Demokratie zerstören – in Ungarn und Polen wurden so problematische Reformen zumindest aufgeschoben. Der ausgrenzende Nationalismus muss eingehegt werden – mit einem entschiedenen Kampf gegen Diskriminierung von Minderheiten, aber auch gegen die von Linken propagierte Identitätspolitik. Diese kritisiert der Autor scharf als ein kulturell statisches Konzept, welches im schlimmsten Fall Meinungen zensiert.

Mounk rät, dass anstelle von Identitätspolitik ein inklusiver Patriotismus treten soll – als Basis für eine multiethnische Nation, in der sich alle als StaatsbürgerInnen wiederfinden. Es braucht auch wirtschaftliche Perspektiven bzw. einen Sozialstaat, der ein dichtes Auffangnetz bietet. Politische Bildung soll die Wertschätzung für Demokratie wieder steigern, denn es braucht mündige BürgerInnen, die politischen Institutionen und AkteurInnen auch ein gewisses Grundvertrauen entgegenbringen.

Mounk bricht viele Tabus, etwa wenn er das demokratische Defizit unserer heutigen liberalen Rechtsstaaten aufzeigt, oder wenn er auf das Konfliktpotenzial ethnisch heterogener Gesellschaften verweist. Mitunter bleiben seine Vorschläge zur Verbesserung von Wirtschaft, Sozialstaat, etc. jedoch vage und dem traditionellen Denken von ewigem Wachstum verhaftet. Ein Buch zum Nachdenken.