Steven Levitsky und Daniel Ziblatt sind Staatswissenschaftler in Harvard. Ihr Buch „Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können“ ist ein Augenöffner für alle, die mit Unbehagen auf aktuelle Entwicklungen in Europa und den USA blicken: In klarer, prägnanter Sprache gelingt es den beiden Autoren, antidemokratische Tendenzen im historischen Vergleich einzuordnen und gleichzeitig ein Analyseraster zu entwerfen, anhand dessen man autoritäre Tendenzen erkennen kann – mitsamt Ratschlägen, wie man damit umgehen soll.
Laut Levitsky und Ziblatt gibt es vier Verhaltensmerkmale, anhand derer autoritäre PolitikerInnen erkennbar sind: wenn sie demokratische Spielregeln ablehnen, GegnerInnen die Legitimität absprechen, Gewalt zumindest tolerieren und bereit sind, bürgerliche Freiheiten von GegnerInnen zu beschneiden – einschließlich der Medien. Um AutokratInnen aufzuhalten, müssen demokratische Parteien aller Lager eine geschlossene Front machen – auch wenn das heißt, mit ungeliebten KonkurrentInnen zusammenzuarbeiten. Eine Reihe historischer Beispiele zeigt, wie Parteien ihre Wächterfunktion ernst nahmen und Autoritarismus eingehegt werden konnte, etwa in Belgien und Finnland in der Zwischenkriegszeit, während „verhängnisvolle Bündnisse“ mit autoritären Figuren – sei es, um sie zu „entzaubern“, sei es, um die eigene Macht zu retten – durchwegs schief gingen (Deutschland, Italien, Venezuela).
Heute ist die offene faschistische oder kommunistische Diktatur nahezu verschwunden. Vielmehr erodieren Demokratien langsam, „in kaum merklichen Schritten“ – durch gewählte Regierungen mit autoritären Ambitionen: „Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne“ (S. 13). Autoritäre Regierungen hebeln die Demokratie aus, indem Gerichte und Verwaltung mit ParteigängerInnen besetzt, Medien und Wirtschaft gefügig gemacht und politische Regeln so definiert werden, dass Oppositionsarbeit eine Herausforderung wird – etwa durch ein die Mehrheit stärkendes Wahlrecht.
Die amerikanische Demokratie
Auf die USA umgelegt zeigen Levitsky und Ziblatt, dass die amerikanische Demokratie lange Zeit erstaunlich stabil war und vor allem die Parteien als demokratische Wächter fungierten, die ExtremistInnen von der Macht fernhielten. Mit der Einführung flächendeckender Vorwahlen wurde das Nominierungsverfahren zwar demokratisiert, aber auch offener für extremistische Randfiguren. Als solche sehen die Autoren den aktuellen Präsidenten Donald Trump – ein Resultat einer „großen republikanischen Abdankung“ (S. 64).
Die Autoren betonen, dass eine stabile Demokratie „Leitplanken“ jenseits der Verfassung braucht: „reichen verfassungsmäßige Sicherheitsvorkehrungen allein aus, um die Demokratie zu schützen? Wir meinen: nein. Selbst gut durchdachte Verfassungen versagen manchmal“ (S. 115). Vor allem braucht es informelle Regeln, die von allen akzeptiert werden: gegenseitige Achtung, das heißt politische GegnerInnen werden prinzipiell als legitim akzeptiert, und institutionelles Zurückhalten, das heißt, dass legistische Möglichkeiten nicht bis ins Letzte (und meist unilateral) ausgereizt werden.
Ein grundsätzliches Problem stellt das Auseinanderdriften von politischen Positionen dar: „Polarisierung kann demokratische Normen zerstören. Wenn sozioökonomische, ethnische oder religiöse Differenzen extrem parteilich werden, sodass sich die Gesellschaft in politische Lager spaltet, deren Weltanschauungen nicht nur unterschiedlich sind, sondern sich gegenseitig ausschließen, sind Toleranz und Achtung kaum noch aufrechtzuerhalten.“ (S. 136) Rare persönliche Begegnungen der politischen KonkurrentInnen führen zu einem Bedrohungsgefühl, welches die gegenseitige Achtung und Zurückhaltung unterminiert. Die Folge: Jeder kämpft mit allen Mitteln für den eigenen Sieg, die Rhetorik wird radikaler, befeuert von rechtskonservativen Medien; Verschwörungstheorien halten in die Politik Einzug.
Aktuelle Ereignisse der US-Politik kommentieren Levitsky und Ziblatt so: „Hätte vor 25 Jahren jemand von einem Land gesprochen, in dem Politiker im Wahlkampf ihren Rivalen androhen, sie ins Gefängnis zu werfen, politische Gegner die Regierung beschuldigen, die Wahl zu manipulieren oder eine Diktatur einzuführen, und Parteien ihre Parlamentsmehrheit nutzen, um Präsidenten ihres Amts zu entheben und die Besetzung von Richterposten zu verweigern, hätte man wahrscheinlich an Ecuador oder Rumänien gedacht, aber bestimmt nicht an die Vereinigten Staaten.“ (S. 195)
Rettung der Demokratien
Wie kann man die Demokratie in Zeiten der Krise retten? Levitsky und Ziblatt befürchten ein Fortschreiten der Polarisierung, eine verschärfte institutionelle Kriegsführung und damit ein politisches System, „das ständig am Rand der Krise entlangtaumelt“ (S. 249). Um dem zu entgehen, müssen sich gegenseitige Achtung und institutionelle Zurückhaltung wieder durchsetzen. Das heißt, DemokratInnen müssen von radikalen Maßnahmen Abstand halten, auch wenn sie dazu dienen, undemokratische GegnerInnen einzuhegen. Zudem müssen Gräben überwunden werden und GegnerInnen die gleiche Legitimität zugesprochen werden, die man für sich selbst in Anspruch nimmt. Die Überwindung der Spaltung ist der entscheidende Schritt, um sicherzustellen, dass unsere Demokratien Zukunft haben – inklusive einer programmatischen Erneuerung der politischen Parteien und einer Sozialpolitik, die Menschen vor dem wirtschaftlichen Absturz bewahrt. Das alles ist schwierig, aber machbar – und notwendig, um der Demokratie das Überleben zu sichern.
Die Publikation der Stunde für alle engagierten StaatsbürgerInnen, die sich nicht mit der Erosion demokratischer Institutionen und Werte abfinden wollen.