Die Kolonialisierung der Politik durch die Medien

Ausgabe: 2001 | 3

Die Inszenierung der Politik durch die Medien ist in jüngster Zeit vielfach beschrieben worden. Es ergibt sich, so der an der Universität Dortmund lehrende Politologe Thomas Meyer, „alles  in allem ein Bild unübersichtlich voranschreitender Differenzierung“ (S. 8). Um so höher ist es dem Autor anzurechnen, mit dieser Veröffentlichung eine klar strukturierte und überzeugende Darstellung der jeweils spezifischen „Logiken“ von Politik und (Massen)Medien vorzulegen, die daraus resultierenden Veränderungen und Gefährdungen der Demokratie herauszuarbeiten und Anforderungen für deren Weiterentwicklung zu skizzieren.

Ohne ein Mindestmaß an Symmetrie in den Kommunikationsbeziehungen zwischen den politischen Eliten und der Gesellschaft „kann es“, so Meyer, „keine Demokratie geben, die diesen Namen verdient“ (vgl. S. 8 f.). Auf den Bühnen der Massenmedien hingegen wird nur noch das geboten, „was sich mit dem politischen und kulturellen Geschmack der nach unten offenen breitest möglichen Schnittmenge der Gesellschaft verträgt, der wiederum durch seine triumphierende mediale Spiegelung bestätigt und (...) enthemmt“ wird (S. 11).

Demokratie, ob als „Markt–“ (konkurrierender Angebote der Parteien), „Partizipations–“ oder zivilgesellschaftliches Modell (Politik jenseits der Parteien) realisiert, ist davon zentral betroffen, da sich Grundsätze, Programme und Durchsetzungsstrategien der Politik der Medienlogik unterwerfen. Auftrag und Anspruch (partei)politischen Gestaltens, die in der Bearbeitung und Vermittlung von Vielfalt, Ungleichzeitigkeit und Widersprüchlichkeit der Gesellschaft liegen, werden dem Diktat medialer Vermittlung angepasst. Dies betrifft die von Konzentration und Kommerzialisierung geprägte ökonomische Struktur ebenso wie die Vermittlung von Inhalten auf dem Markt der Medien, der primär auf Quote und damit Ereignishaftigkeit, kurze Dauer, Überraschungswert und Prominenz setzt.

In der „Mediokratie“ prägen Rituale – Meyer definiert deren neun (vgl. S. 50 ff.),   die (zunehmend rudimentäre) Präsenz der Politik in den Medien. Aufgrund der Unverträglichkeit von „politischer Prozesszeit“ und der gegen null tendierenden „medialen Produktionszeit“ wird die „Selbstmediatisierung der Politik“ als zwar systemfremde, aber strategisch unumgängliche Form im Ringen um Aufmerksamkeit und Einfluss praktiziert. „Die Medien“, so lautet das Leitmotiv der Politik, „beherrscht nur, wer sich ihnen unterwirft.“ (S. 85).

Zugleich weist der Autor auf die „Ästhetisierung der Öffentlichkeit“ hin, in der die Logik der „Bildunterhaltung“ der Vermittlung von Urheberschaften und komplexen Sachverhalten den Rang abgelaufen hat. Strategien der Theatralisierung und Infantilisierung, die sich auch die öffentlich rechtlichen Medien teils aus eignem Antrieb, teils unter dem Druck der Politik zu eigen machen, führen geradewegs zu „parasitärer Publizität“, in der Politik zu einem „Testhandeln“ verkommt. Zwar sucht sie „die Masse“ zu erreichen und zu bewegen, schläfert diese aber ein, da sie den primären Erfordernissen der Medien (Unterhaltungswert) immer nur ungenügend entspricht.

Wie Meyer darlegt , hat der „gnadenlose Präsentisismus“ der Massenmedien die Ausdünnung und zunehmende Marginalisierung der (ehemals weite Teile der Gesamtbevölkerung vertretenden) Parteien zur Folge. Tendenziell führt er dazu, dass sich nur noch „Zeitreiche“ (Kommunalbeamte, Lehrer, Rentner, Hausfrauen und Vertreter einer bewussten Entschleunigung) in Parteien wiederfinden.

Ist der Degradierung der repräsentativen Demokratie unter dem Diktat der Massenmedien – Meyer beschreibt sie ausführlich am Bespiel der Kandidatenkür für die US–Präsidentschaft, kommt aber bedauerlicher Weise mit keiner Silbe auf die in der Gestalt von Silvio Berlusconi so perfekt und gefährlich personifizierte Entwicklung zu sprechen – entgegenzuwirken?

Im Hinblick auf die mit dem Internet verbundenen Erwartungen, etwa der Weiterentwicklung der Demokratie „zu neuen Horizonten herrschaftsfreier horizontaler Kommunikation“ (S. 178), zeigt sich der Autor nur zurückhaltend optimistisch, auch wenn er aktiven Gruppen der Zivilgesellschaft durchaus zutraut, „den Massenmedien durch die Thematisierung öffentlicher Probleme eine von ihnen sonst vernachlässigte Agenda aufzuzwingen“ (S. 183) [Beispiel: Clinton–Lewinsky–Affaire, 1997]. Dennoch „muss die Mediendemokratie auf die Foren der Zivilgesellschaft und des sozialen Bürgengagements hoffen, damit sich die Spirale der politischen Sinnentlehrung gefälliger Oberflächeninszenierung zwischen Politik und Mediensystem nicht immer weiter dreht“ (S. 202). Zur Gewährleistung thematischer Relevanz und hinreichender Inhaltlichkeit im Diskurs der Parteien werden u. a. die Einrichtung von Instanzen professioneller Selbstkontrolle sowie unabhängige Gremien, etwa Stiftungen, vorgeschlagen, „in denen zwischen den wichtigsten Beteiligten, auf der Produzenten– und auf der Rezipientenseite, Standards ausgehandelt und ihre Einhaltung kontrolliert werden“ (S. 208).

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Dass vom Gelingen derartiger Vorhaben die Zukunft der Demokratie entscheidend abhängt, ja letztlich die Sicherung zivilisatorischer Errungenschaften wie Freiheit, Menschenwürde und Solidarität aufs engste verknüpft ist, wird hier überzeugend vermittelt. Ein Buch, dem eine große Leserschaft und Folgenhaftigkeit zu wünschen sind. W. Sp.

Meyer, Thomas: Mediokratie. Die Kolonialisierung der Politik durch die Medien. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2001. 232 S., DM 19,90 / sFr 18,70 / öS 145