Die grosse Rezession. Was tun, damit die Weltwirtschaft nicht kippt

Ausgabe: 1999 | 4

Am Beispiel eines Babysitterrings, der scheiterte, weil die TeilnehmerInnen begonnen hatten, Stundenguthaben zu horten, erklärt der Topökonom Paul Krugman das Dilemma von Volkswirtschaften, die in die Rezession schlittern, weil die Nachfrage stockt. Wider die neoliberale Schule seiner Kollegen, die Hartwährungspolitik, enge Haushaltsführung und freien Kapitalverkehr zum allein gültigen Dogma erfolgreichen Wirtschaftshandelns erheben, plädiert Krugman für abgestufte, der jeweiligen Situation angepasste “Medizinen”, in denen Nachfragestimulierung jedoch das zentrale Element ausmacht. Sinken die Investitionen und die Konsumnachfrage, müsse nachgeholfen werden: durch Zinssenkungen, die zum Ausgeben animieren, durch Abwertung der eigenen Währung, was die Exporte begünstigt, und wenn nötig, durch öffentliche Investionsprogramme.

Krugman führt die Wirtschaftskrisen in Japan, den übrigen ostasiatischen Ländern, aber auch jene in Mexiko und Brasilien auf eine falsche und in der Regel zu zögerliche Wirtschaftspolitik dieser Länder zurück und übt dabei auch starke Kritik am IWF, der - etwa im Falle Thailands, Indonesiens und Brasiliens - zu kontraproduktiven Roßkuren angehalten habe. Japan habe aus falschem Nationalstolz eine wirtschaftsfördernde Yen-Abwertung abgelehnt und sei deshalb in die Krise geraten. Lob erhält hingegen die Europäische Union, die die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und einer Deflation nun vor einen harten Euro stelle.

Anschaulich legt der Ökonom dar, welch große Rolle im internationalen Finanzgeschäft dem “Vertrauen in Volkswirtschaften” und damit psychologischen Faktoren zukomme. Länder der sogenannten Dritten Welt würden - nach Krugman dabei zu unrecht  - viel geringeres Vertrauen genießen als die OECD-Staaten. Der mit dem Vertrauensschwund einhergehende Abzug des Kapitals “über Nacht” ziehe die Volkswirtschaften erst in die Katastrophe. Vetternwirtschaft und Korruption spielen zwar in vielen Ländern eine Rolle, sie als Hauptgrund für wirtschaftliche Probleme darzustellen, ist für den Ökonomen des Massachussets Institute of Technology jedoch eine krasse Vereinfachung, die die “Opferländer” zu “Tätern” mache. Ein gutes Wirtschaftssystem müsse fehlertolerant sein. Auch wehrt sich Krugman gegen die sogenannte “Katertheorie”, dernach zu rasch gewachsene Volkswirtschaften Dämpfer bräuchten. Er macht auch deutlich, wie die Zunahme der Spekulation stabile Wirtschaftsstrukturen zerstört (das Kapitel über die sogenannten Hedge-Fonds, in denen allein auf Währunsgschwankungen von Ländern spekuliert wird - George Soros verdiente damit 1 Milliarde Dollar in einer Nacht - liest sich wie ein spannender Wirtschaftskrimi) Der Ökonom hält daher auch Kapitalverkehrskontrollen für sinnvoll, wie sie Hongkong oder Argentinien eingeführt haben. (Daß China den Kapitalverkehr noch nicht freigegeben hat, wertet Krugman als Stabilitätsanker für die chinesische Wirtschaft.) Den Ländern der Dritten Welt empfiehlt der Ökonom, ihre Abhängigkeit von Fremdwährungskrediten generell zu verringern, etwa durch Besteuerung jener Unternehmen, die sich in ausländischer Währung verschulden.

Krugman versteht es hervorragend, das internationale Wirtschaftsgeschehen auch für Laien verständlich darzustellen. Ihm ist auch zuzustimmen, wenn er auf das Recht der Entwicklungsländer pocht, einen dem unseren ähnlichen Wohlstand aufzubauen, doch verkennt er die ökologischen und sozialen Friktionen der von ihm vertretenen Wachstumsdynamik.

Zum Thema siehe auch: Krugman, Paul: Der Mythos vom globalen Wirtschaftskrieg. Eine Abrechnung mit den Pop-Ökonomen Frankfurt/M. (u. a.): Campus, 1999. 239 S.

H. H.

Krugman, Paul: Die grosse Rezession. Was zu tun ist, damit die Weltwirtschaft nicht kippt. Frankfurt/M. (u. a.): Campus, 1999. 237 S.