Wie die Welt bis zum Jahr 2035 aussehen wird, fragt sich das National Intelligence Council (NIC), der Think Tank der amerikanischen Geheimdienste des CIA für mittel- und langfristiges strategisches Denken. Das NIC hat deshalb eine „Karte der Zukunft“ erstellt und dabei Szenarien sowie die wichtigsten Trends und deren Implikationen erarbeitet. Dazu wurden über 250 unabhängige Spezialisten weltweit, darunter Ökonomen, Strategen und Geheimdienstler, um ihre Einschätzungen gefragt. In der Studie wurde Raum gelassen für einen gesonderten Blick auf die nächsten fünf Jahre als einen Zeit-horizont, der für die US-Regierung von besonderer Relevanz ist. Erklärtes Ziel des NIC ist es, die Politik bestmöglich über das gegenwärtige und zukünftige Weltgeschehen zu informieren. Dieser Umstand entbehrt angesichts des aktuellen Treibens im Weißen Haus nicht einer gewissen Komik. Ungeachtet dessen findet die ins Deutsche übertragene Publikation diesseits des Atlantik eventuell ein breiteres und aufgeschlosseneres Publikum.
Vorweg: in Fragen der Theorie – Anmerkungen zum methodischen Vorgehen finden auf nur zwei Seiten Platz – wurde dabei bei weitem nicht so präzise vorgegangen bzw. offengelegt wie bei den deutschen KollegInnen. Deshalb bleibt vieles vage und oberflächlich. Themen wie z. B. Digitalisierung, globaler Einfluss der US-Außenpolitik, eine nachhaltige Fortschritts- und Wachstumsdiskussion werden weitgehend ausgespart.
Drei Szenarien für die ferne Zukunft
Drei Szenarien für die fernere Zukunft beschreiben, wie Trends und wichtige Entscheidungen ineinandergreifen und so jeweils unterschiedliche Pfade in die Zukunft bahnen könnten. Das „Insel-Szenario“ geht von einer Restrukturierung der Weltwirtschaft aus, die zu längeren Perioden langsamen Wachstums führt – „eine Herausforderung sowohl für die traditionellen Modelle ökonomischen Wohlstands als auch für die Annahme, dass die Globalisierung immer weiter zunehmen wird“ (S. 16). Das „Orbits-Szenario“ entwirft ein Bild, in dem die großen Mächte in Konkurrenz zueinander stehen, sich ihre je eigenen Einflusssphären suchen und bestrebt sind, die innenpolitische Lage zu stabilisieren (Stichworte sind: Rückgang globaler Kooperation, Zunahme von Nationalismus, Wandel der Konfliktmuster).
Schließlich zeigt das „Communities-Szenario“, wie steigende Erwartungen der Bürger bei gleichzeitigem Schwinden der Spielräume des Staates Räume öffnen, „in denen lokale Regierungen und private Akteure unsere hergebrachten Vorstellungen darüber infrage stellen können, was es bedeutet zu regieren“ (S. 17).
Trends bis zum Jahr 2035
Hervorgehoben wird, dass alle identifizierten Trends mit einer nie da gewesenen Geschwindigkeit ineinandergreifen und das Wesen von Macht verändern werden. Megatrends wie Klimawandel, Migration, Sicherheitsprobleme und Entwicklungen am Arbeitsmarkt existieren eben nicht unabhängig voneinander, sondern bedingen einander. Bereits im Untertitel („Das Paradox des Fortschritts”) wird darauf hingewiesen, dass die globalen Trends, die eine düstere und krisenhafte Zukunft erwarten lassen, zugleich auch Chancen einer positiven Entwicklung bieten. Abgesehen von derart allgemeinen Einschätzungen enthält der Bericht neben genannten Trends bis 2035 keine neuen Entwicklungen: erwartet werden anhaltend starke Migrationsbewegungen, ein Ansteigen der Weltbevölkerung, die gleichzeitig älter und urbaner wird; Frauen drängen zunehmend in die Arbeitswelt, der Klimawandel wird vermehrt extreme Wetterereignisse zur Folge haben und nicht zuletzt werden die Herausforderungen an die Regierenden komplexer.
Für die nächsten fünf Jahre wird ein systematischer Überblick über alle Weltregionen geliefert. „Fortgesetzte Instabilität und wichtige Anpassungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt werden weltweit die nächsten fünf Jahre prägen“, heißt es etwa (S. 134) Zu Gewalt neigende Massenbewegungen, strukturelle Veränderungen in der Weltwirtschaft und Unzufriedenheit werden populistische und nationalistische Trends verstärken. Was die ökonomischen Belastungen anbelangt, gilt China als größter Risikofaktor. Geopolitisch werden die zunehmende Instabilität des internationalen Systems und wachsende Ambitionen von China und Russland betont. „Die Welt im Jahr 2035“ macht zunächst neugierig. Näher betrachtet, ist die Publikation jedoch eine sonderbare Mischung willkürlicher Befunde, chaotischer Ängste und von US-amerikanischem Zweckoptimismus. Alfred Auer
Die Welt im Jahr 2035. Gesehen von der CIA und dem National Intelligence Council. Das Paradox des Fortschritts. München: C.H. Beck, 2018. 318 S., € 14,95 [D], 15,40 [A] ; ISBN 978-3-406-71446-7