Repräsentative Demokratie ist nicht nur „demokratisch fragwürdig, sie ist es ebenso menschenrechtlich“, heißt es im Editorial des vorliegenden Jahrbuchs des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“. Die Redaktion umreißt darin zunächst, wie es in Zeiten der Globalisierung um Demokratie und Menschenrechte aussieht, bzw. aussehen sollte: Es sei geboten, die politische Praxis darauf zu orientieren, „dass alle Menschen in ihren eigenen Kontexten und sozialen Organisationen auf der Erde prinzipiell die gleichen Möglichkeiten besitzen, sich als Menschen im Zusammenhang anderer Menschen zu entwickeln“ (S. 11). Diese Ansatz versteht Menschenrechte und Demokratie als Voraussetzung wie auch Garant sozialer Selbstbestimmung mit ganz verschiedenen materiellen Formen und Akzenten, von der auch um unterschiedlicher Interessen willen nicht abgegangen werden dürfe (vgl. Hannah Jacobs in www.labornet.de). Wie wir unschwer mit Blick auf das politische Tagesgeschehen feststellen können, sind wir davon weit entfernt.
Die Beiträge des Jahrbuchs konzentrieren sich v. a. darauf, aktuelle, demokratiegefährdende Schattenseiten der Globalisierung zu kritisieren, und weniger auf die Konkretisierung des eingangs formulierten Ansatzes. Ob dieser Tatsache ist, wie es scheint, selbst die Redaktion wenig angetan und spricht daher Aspekte dieses „Kritik- und Reformdilemmas“ dezidiert an: „Wo aber und wie lange hat es Sinn, den Herrschenden ihre eigenen, von uns anders mitgesungenen Melodien vorzuspielen, damit sie vielleicht ab und an einen richtigen Tanzschritt machen? Und wo und wann betrügen wir uns nur selber, sind darum kritisch und konstruktiv, sind nicht um der Menschenrechte und Demokratie, also um unserer selbst willen radikal, klar und eindeutig genug?“ (S. 14 f.)
In insgesamt elf Beiträgen wird den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nachgegangen, die die substanziellen Veränderungen liberaler Demokratie und immer schon eingeschränkter Menschenrechte weiter vorantreiben und Fragen nach einer radikal anderen Vergesellschaftung aufwerfen. Wolf-Dieter Narr und Roland Roth widmen sich dabei den historischen Transformationen im 19. und 20 Jahrhundert. Beide halten schließlich daran fest, dass trotz aller „kriegsträchtigen Problemakkumulation gegenwärtiger Globalisierung“ eine demokratisch menschenrechtlich angemessene Form politisch sozialer Organisation von unten nach oben erfolgen muss. (vgl. S. 43)
„Das Ende der liberalen Demokratie“ in der neoliberalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft konstatiert Joachim Hirsch, um auf Grundlage verschiedener sozialer und politischer Phänomene, die allesamt auf einen „sanften Totalitarismus“ hinausliefen, zu folgendem Schluss zu gelangen: „Es wird notwendig sein, neu zu definieren, was Demokratie auf nationaler und vor allem auch auf internationaler Ebene heißt, und dies institutionell zu konkretisieren.“ (S. 58)
Inzwischen gilt die globalisierungskritische Bewegung immer mehr als ein ernst zunehmender politischer Faktor. Ihr wird zugetraut, die weitere gesellschaftliche und politische Entwicklung wesentlich mitgestalten zu können. Diese Gedanken aufgreifend, geht Dirk Vogelskamp der Frage nach, welche Zukunft eine radikaldemokratische linke Opposition haben könnte. Er verwirft allerdings die Erwartung, über repräsentativdemokratische Institutionen „globale soziale Rechte“ durchsetzen zu können und sieht in der Annäherung an den Staat nur eine neue sozialdemokratische Herrschaftspraxis (die Transformation der Linken), „hübsch eingeschlagen in ein wohlklingendes Projekt sozialer Gerechtigkeit und globaler sozialer Rechte“ (S. 167).
In weiteren Beiträgen wird beispielsweise der „exekutiven Ausnahmegewalt als Regelherrschaft im ‘Global War on Terror’“ (Albrecht Funk), der Institution der Sicherungsverwahrung (Helmut Pollähne) oder mit Blick auf die aktuelle Parteienlandschaft dem „bundesdeutschen Lageruniversum“ (Tobias Pieper) nachgegangen. Birgit Sauer beschäftigt sich mit der Transformation der Geschlechterverhältnisse und der Remaskulinisierung der Demokratie, Annette Groth greift mit den „Economic Partnership Agreements“ die europäische Dimension dieses globalen Umbruchs auf, Ulrich Brand und Markus Wissen schließlich setzen in Anbetracht zunehmender ökologischer Konflikte auf eine „materialistische Menschenrechtspolitik globaler sozialer Bewegungen“.
Die insgesamt desillusionierenden Beiträge schließen mit einer umfangreichen Dokumentensammlung zum Thema Menschenrechte und Demokratie. A. A.
Jahrbuch 2008. Die globale Transformation menschenrechtlicher Demokratie. Hrsg. v. Komitee für Grundrechte und Demokratie. Münster: Westfäl. Dampfboot, 2008. 263 S., € 20,50 [D], 21,10 [A], sFr 36,60
ISBN 9783896917362