Die Gewalt des Vergnügens & Keine Götter mehr

Ausgabe: 1997 | 3

Seit Jahren warnt Neil Postman, Medienökologe an der New York University und gegenwärtig wohl einer der prominentesten Kritiker der Neuen Kommunikationstechnologien, vor "Selbstbetrug im medialen Overkill". Eine Gesellschaft, die (wie die US-amerikanische Tag für Tag) durchschnittlich "acht Stunden am Bildschirm verbringt" - Fernsehen als Beschäftigungstherapie -, die (...) "mit Maschinen in künstlichen Welten schwebt und damit bereits mehr symbolische als reale Erfahrungen macht", will Postman "an die Dinge, Tätigkeiten und Erfahrungen erinnern, die Menschen einst wußten, aber heute vergessen haben". In Anbetracht der Tatsache, daß allein in den USA jährlich 40.000 (und weltweit 300.000) neue Buchtitel aufgelegt werden und 17.000 Zeitungen erscheinen, brauchen wir vor allem "ein entwickeltes Unterscheidungsvermögen, um zwischen Banalem und Wesentlichem" unterscheiden zu können. Denn "wo nichts mehr überrascht, da wächst die Bereitschaft, alles zu glauben". Postman, der sich in dem hier angezeigten Gespräch mit dem in Cottbus lebenden Publizisten Klaus Trende auch über deutsche Befindlichkeiten unterhält, spricht mit Blick auf unsere gegenwärtige kulturelle Situation von ”Zukunftsschrott". und konstatiert "eine rasch fortschreitende Erosion der kollektiven Intelligenz", wobei er sich weniger in der Rolle des Defätisten als des Realisten sieht. Es wäre in der Tat zu billig, Neil Postman als beredten Zyniker abzutun, der wider den Zeitgeist ankämpft und es darauf abgesehen hat. den Propheten medialer Paradiese die Suppe des finanziellen Erfolgs zu versalzen. Nein, Postman ist nicht zuletzt auch schreibender Therapeut einer, der auf hohem Niveau zu reflektieren und zugleich zu unterhalten weiß. Als solcher tritt er vor allem (im zweiten hier neu aufgelegten Titel) nicht nur mit grundsätzlichen Überlegungen, sondern zugleich mit ungewöhnlichen, scheinbar paradoxen Vorschlägen zur (nicht nur ihm) unabdingbaren Reform der (schulischen) Erziehung hervor. "Die [öffentliche] Schule", so der als ehemaliger Lehrer auch mit der täglichen Praxis Vertraute, "ist mit Sicherheit auf dem Weg an ihr Ende, wenn sie keinen Sinn mehr hat". Sinn, das ist für den Autor mehr als methodisches Rüstzeug, ist die aller Erziehung zugrundeliegende "Große Erzählung". Anstatt den Göttern der unbegrenzten Unterhaltung, des Konsumismus oder der Technik zu dienen, gehe es darum, tragfähige, zukunftstaugliche Geschichten zu erzählen: die Geschichte vom „Raumschiff Erde", die vom "Gefallenen Engel" (die uns lehrt, mit Fehlern umzugehen und aus ihnen zu lernen)' die Geschichte vom "Amerikanischen Experiment" (der Freiheit und Menschenwürde), die vom "Gesetz der Vielfalt" und auch jene der "Wort-Weber" und "Welt-Macher" über die nur dem Menschen gegebene Fähigkeit "die Zeit [durch Sprache] zu binden", daß hierfür drei Fächer - Archäologie, Anthropologie und Astronomie - genügen würden und Schulbücher abzuschaffen seien, sind zwei der gleichermaßen provozierenden wie hellsichtigen Thesen Postmans. Sie alle haben Gewicht und verdienen breite Aufmerksamkeit. W. Sp.

 

Postman. Neil; Trende, Klaus: Die Gewalt des Vergnügens. Ein Gespräch. Cottbus: Fabrik-Verl., 1997. 33 S. (Reihe: Einblicke)

Postman, Neil: Keine Götter mehr. Das Ende der Erziehung. München: Deutscher Taschenbuch-Verl., 1997. 235 S.