Die Gesundheitsfalle

Ausgabe: 1992 | 3

Ginge es allein um die idealistische Formel der WHO, die Gesundheit als "Zustand vollständigen körperlichen und seelischen Wohlbefindens" definiert, so ließe sich von Illusion oder - negativ akzentuiert - von (Selbst)Betrug sprechen. Dass diese Vokabel jedoch das von ungeheuerlichen Geldflüssen gespeiste Getriebe der Megamaschine wohlfahrtsstaatlicher Gesundheitsversorgung ebenso charakterisieren; weist der Verfasser - ein praktizierender Mediziner - anhand einer ebenso faktenreichen wie schonungslosen Analyse des deutschen Gesundheits(un)wesens nach. Mit rund zwei Millionen Beschäftigten (2,5 Mal so viel wie die deutsche Autoindustrie) und einem Jahresumsatz von 333 Mrd. DM erwirtschaftet oder verprasst der Moloch 13 % des BSP - Tendenz steigend. Im volkswirtschaftlichen Bermudadreieck werden nicht nur Beträge umgesetzt und Zahlen jongliert, die selbst Daimler-Benz wie einen Kleinbetrieb aussehen lassen; 800000 Rezepte pro Tag, 20,2 Mrd. Tagesdosen an Medikamenten (von denen etwa die Hälfte unwirksam ist), eine Überzahl von etwa 100000 Betten sorgen paradoxerweise dafür, dass die Zahl der Krankheitsfälle und -stände unaufhörlich steigt. Biermann durchkämmt den Filz wechselseitiger Interessen, beschreibt die Macht der Pharmaindustrie ebenso wie den blendenden Glanz der Medizintechnik, der so manchen Arzt zum Oberkellner im fremdfinanzierten Automatenrestaurant degradiert. Er ist den Machenschaften der gesetzlichen und privaten Versicherungen mit detektivischer Sorgfalt auf der Spur und weist nach, dass die Krankenhäuser ("Schlachtschiffe der Gesundheitstechnik") in politischer bzw. betriebswirtschaftlicher Blindheit geleitet werden. Biermann plädiert für die Distanzierung von Medizin und Wissenschaft, fordert dazu auf, dem Interventionismus um jeden Preis ein Ende zu setzen und spricht sich für die radikale Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien aus: In einem von mündigen Patienten (mit)bestimmten Klima sollten Wettbewerb statt Umverteilung und Vertragsfreiheit statt Regulation dafür Sorge tragen, dass dem Gesundheitswesen wo nicht Heilung, so doch Besserung widerfährt. Walter Spielmann

Biermann, Hans: Die Gesundheitsfalle. Der medizinisch-industrielle Komplex. Hamburg: Hoffmann & Campe, 1992. 351 5., DM 38,- / sFr 32,20 / öS 296,40