Eva Lindner

Mutter ohne Kind

Ausgabe: 2025 | 1
Mutter ohne Kind

Eva Lindner schreibt über etwas, das eigentlich allgegenwärtig ist und doch als Tabuthema kaum Eingang in den gesellschaftlichen oder politischen Diskurs findet, wodurch die Personen, die davon betroffen sind, gefährlich vernachlässigt werden. Nachdem sie selbst eine Fehlgeburt erlitten hatte, begann die Autorin und Journalistin zu recherchieren, sich mit der Tabuisierung auseinanderzusetzen. In „Mutter ohne Kind“ verbindet sie eigene wie erfragte Erfahrungen, spricht mit Gynäkolog:innen, Hebammen und Anwält:innen, und kontextualisiert so das Erlebte in einem soziopolitischen Klima, das über die häufigste Schwangerschaftskomplikation nicht spricht und sich vor allem durch mangelnde medizinische Betreuung, Desinteresse an der Erweiterung der Studienlagen und fehlenden Rechtsschutz auszeichnet.

Fehlgeburten sind keine Seltenheit

Fehlgeburten sind keine seltenen Ausnahmen, 30 Prozent aller Schwangerschaften sind davon betroffen. Der Hauptgrund sind Chromosomenstörungen in der Ei- oder in der Samenzelle, so Lindner, die darauf hinweist, wie „falsche Annahmen, Missverständnisse und Fehlinformationen die Schuld- und Schamgefühle betroffener Frauen befeuern und wie gesellschaftliche Mythen Frauen stigmatisieren“ (S. 49). Obwohl Fehlgeburten für die Betroffenen, „traumatisierend, gesundheitsschädlich und lebensverändernd“ (S. 26) sein können, werden diese mehrheitlich verharmlost, Frauen medizinisch unterversorgt, psychologisch meist gar nicht betreut. Kombiniert sieht sich das mit einer gesellschaftlichen Konvention, frühe Schwangerschaften zu verschweigen, die Frauen wiederum einer sozialen Unterstützung beraubt, sollte die Schwangerschaft nicht halten. Diese Kultur des Geheimhaltens trägt wesentlich zu der weitverbreiteten Annahme bei, dass Fehlgeburten selten sind. Wohlgemerkt weist Lindner darauf hin, dass es jeder Frau selbst obliegt, ob oder wie lang sie eine Schwangerschaft für sich behält, ob sie über Fehlgeburten spricht oder nicht. Und wohlgemerkt ist es nicht Aufgabe der Gesellschaft, durch direkte Fragen nach der Familienplanung in die Privatsphäre einer anderen Person einzudringen.

Forderungen nach Veränderung

Lindner formuliert neun Forderungen, um das Tabu Fehlgeburt aufzubrechen: eine statistische Erfassung; mehr Aufklärung; mehr Forschung, systematische Schulung für medizinisches Personal; eine Zulassung notwendiger Medikamente; ein Recht auf Selbstbestimmung und Abtreibung: Klar arbeitet sie hierbei aus, wie das operative Handwerk nach Fehlgeburten dem bei gewollten Schwangerschaftsabbrüchen entspricht, wie also restriktive Abtreibungsgesetze vor allem eines tun: Den sicheren Zugang zu Gesundheitsversorgung zu verwehren, sei es für ungewollt schwangere Frauen, oder für jene, die sich ein Kind wünschen. Das weitet sich auf rechtliche Fragen aus: „Wo die reproduktiven Rechte von Frauen eingeschränkt sind, werden auch Frauen mit Fehlgeburten kriminalisiert und geraten im schlimmsten Fall in Lebensgefahr“ (S. 169).

Die Autorin fordert weiter die Anerkennung von Fehl- und Stillen Geburten als Geburten; eine bezahlte Auszeit nach Fehlgeburten für betroffene Eltern; eine interdisziplinäre, medizinische Leitlinie zur Begleitung von Betroffenen. Und mit diesen Punkten, und dem schnell gelesenen Buch gesamt, leistet Lindner dankenswerterweise einen wichtigen Beitrag, um einen überfälligen Diskurs in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen.