Wir müssen die Klimakrise im Kapitalismus abwenden, weil es nicht genug Zeit gibt, ein anderes System aufzubauen und weil der Kapitalismus bei Lösungen durchaus helfen kann. So lässt sich eine Grundaussage des Physikers und Klimaforschers Anders Levermann vom Potsdam Institut zusammenfassen. Das Problem sieht der Forscher in den zerstörerischen Selbstverstärkungsprozessen, von denen der aktuelle Kapitalismus getrieben werde: Mehr Wirtschaftswachstum führt zu mehr Umweltzerstörung, aus großen Unternehmen werden immer größere, wer Vermögen hat, häuft immer mehr davon an. Das treibe die Klima- und Biodiversitätskrise voran, zerrütte aber auch die Gesellschaften und die Demokratie. Der Staat müsse wieder als Souverän agieren, die Wirtschaft die Dienerin für den Wohlstand der Menschen sein. Die Grundüberzeugung von Levermann: Aufgabe des Staates sei es nicht, zahlreiche Einzelvorschriften zu erlassen, sondern den Rahmen vorzugeben. Und zwar in Form von absoluten Grenzen, die transparent und für alle gültig sind. Fünf solche zentralen Vorgaben beschreibt der Autor: 1) Das Ende Verbrennung fossiler Energieträger: Innerhalb der nächsten 20 Jahre müsste der CO2-Ausstoß auf Null gesetzt werden. Levermann, selbst Co-Autor zahlreicher IPCC-Berichte, begründet dies ausführlich mit den noch immer unterschätzten Risiken durch die Erderwärmung. 2) Das Ende des Rohstoffabbaus durch eine sukzessive Ausweitung des Führens der Stoffe im Kreislauf – die Recyclingmaschinen soll dabei mit den Überschusskapazitäten der Solarenergie betrieben werden. Die weiteren Vorgaben beziehen sich 3) auf die Begrenzung der Unternehmensgrößen, die im Verhältnis zur Wirtschaftskraft der Staaten festgelegt werden sollen, 4) die Begrenzung des Erbes, um eine Dekonzentration des Vermögens zu erreichen, sowie 5) die Begrenzung der Einkommensunterschiede. Die Rahmensetzungen hier sollen gesellschaftlich ausgehandelt und demokratisch festgelegt werden. Levermann schlägt zur Illustration maximal zwei Mio. Euro vor, die jemand einer anderen Person vererben können solle, der Betrag erhöhe sich entsprechend, wenn das Erbe auf mehr Personen aufgeteilt wird. Die Reichen könnten die darüberhinausgehenden Vermögen spenden oder der Staat würde diese mit 100 Prozent wegsteuern. Das maximale Jahresnettoeinkommen setzt Levermann mit ebenfalls zwei Mio. Euro bewusst hoch an, da es darum gehe, die Allerreichsten zu begrenzen. Die Einkommenszuwächse der oberen 10 Prozent würden aktuell 200 Mio. Euro und mehr betragen, also das 100-fache. Ebenfalls begrenzen würde der Autor das Finanztrading, das aus dem Nanosekundenbereich wieder in den Sekundenbereich geholt werden müsse. Zudem gebe es weitere Begrenzungen, etwa das Auslaufen des Verbrennungsmotors, das Verbot fossil getriebener Heizungen oder des Eintrags problematischer Stoffe in die Böden.
Vielfalt durch Begrenzungen
Levermann führt für diese Art von Begrenzungen den Begriff der Faltung aus der Physik ein (daher heißt sein Buch „Die Faltung der Erde“). Demnach sei in einem endlichen Raum weitgehend unendliche Bewegung möglich, wenn innerhalb dieses begrenzten Raumes immer wieder neue Wege eingeschlagen werden. Ebenso würden Gesellschaften, Organisationen sowie Subjekte ihre Bewegungsrichtung ändern, wenn ihnen Begrenzungen gesetzt werden. Als historisches Beispiel nennt Levermann die Abschaffung der Sklaverei, die Sklavenhalter:innen zur Umstellung gezwungen habe. Die Hoffnung des Autors: Mit der Kreativität der Wissenschaften sowie der Unternehmen würden wir die passenden neuen Wege in vielfältigen Suchprozessen finden: „Wenn wir die Grenzen richtig setzen, könnten dadurch neue Impulse und kreative Lösungen entstehen.“ (S. 124). Es gehe dann nicht um Wachstum ins noch Mehr, sondern in die Vielfalt und ums „Anders machen“.
Levermann ist bewusst, dass es wirksame Mechanismen braucht, um die Neuausrichtungen anzustoßen. Um die Treibhausgase auf Null zu bringen, schlägt er einen Emissionshandel vor, der die handelbaren Zertifikate analog den Zielvorgaben permanent reduziert und damit verteuert. Bei den Rohstoffen könnten die natürlichen Verknappungen sowie der Wunsch nach Erhöhung der Resilienz die treibenden Kräfte sein. Maximaleinkommen und -vererbungssummen ließen sich durch progressive Steuern, die gegen 100 Prozent gehen, lösen, der Hochfrequenzhandel mit Finanzprodukten durch eine Transaktionssteuer. Bleibt noch das Problem der weltweiten Trittbrettfahrer. Levermann sieht dieses Dilemma, er plädiert daher für die bereits angedachten Lieferkettengesetze. Gehandelt würde demnach nur mit jenen Wirtschaftsräumen, die sich an dieselben Begrenzungen halten.
Eine plausible Argumentation
Resümee: Dass sich ein Klimaforscher mit Wirtschaftsfragen befasst, ist löblich. Levermann argumentiert sehr plausibel, sodass er politisch durchaus Gehör finden könnte. Er lobt die freien Märkte, die er gegen den gegenwärtigen zunehmend monopolistischer agierenden Kapitalismus verteidigt, und er legt glaubwürdig dar, dass wir die Klimakrise ernster nehmen müssen als wir es derzeit tun. Für die Begrenzung der Reichtumsexzesse könnte es wohl in Zukunft politische Mehrheiten geben, wenn die öffentlichen Schulden weiter steigen und die Sozialsysteme noch mehr ins Wanken geraten. Die Verbrennung fossiler Energie und den Rohstoffabbau auf Null zu bringen, wird wohl auch neuer Wohlstandsmodelle brauchen, die in Richtung Sicherung der Basisbedürfnisse gehen. Denn Billigstprodukte aus aller Welt wird es dann nicht mehr geben. Levermann macht aber auch hier die Zusammenhänge deutlich, denn hohe Mieten sind eine unmittelbare Folge hoher Immobiliengewinne. Jedenfalls sind die Vorschläge dieses Buches deutlich realitätsnäher als das vage Hoffen auf einen Sturz des Kapitalismus. Der Staat würde wieder (oder: erstmals?) als Souverän agieren, und – anders als bei Ulrike Hermanns ebenfalls bedenkenswertem Modell einer modernen Rationierungswirtschaft – nicht die Bedarfe, sondern nur die Rahmen vorgeben, diese aber absolut.