Branko Milanović

Kapitalismus global

Ausgabe: 2021 | 1
Kapitalismus global

Die Globalisierung habe den Kapitalismus zum einzig existierenden Wirtschaftssystem werden lassen, so Branko Milanović, und gleichzeitig eine Spaltung in zwei konkurrierende Kapitalismus-Spielarten verursacht: einerseits den liberal-meritokratischen Kapitalismus der westlichen Staaten, andererseits den politischen Kapitalismus, der sich etwa in China beobachten lässt. Milanović analysiert beide Spielarten und skizziert dann mögliche Zukunftsszenarien. Seine Aussicht ist dabei ernüchternd aber nicht fatalistisch: der Kapitalismus und die kapitalistische Moral hätten gesiegt, aber es gebe Möglichkeiten, den Kapitalismus gerecht zu gestalten.

Kapitalismus in zweifacher Ausführung

Für den Autor zeichnet sich der liberal-meritokratische Kapitalismus durch sechs Schlüsselmerkmale aus, die alle zu steigender Ungleichheit und damit zur Instabilität des Systems führten. Viele Merkmale seien, da dem Kapitalismus insgesamt inhärent, unumgänglich. Dazu zähle der fortschreitende Anstieg der Kapitaleinkünfte am Nationaleinkommen, die hohe Konzentration des Kapitalbesitzes und das Einhergehen von Kapitalbesitz und Reichtum.

Im Unterschied zu früheren Formen des Kapitalismus weise der liberal-meritokratische aber noch zwei weitere, die Ungleichheit verstärkende Merkmale auf: Personen mit hohem Kapitaleinkommen hätten auch hohe Arbeitseinkommen und Reiche heirateten untereinander. Die existierenden sozialpolitischen Maßnahmen zur Reduktion der Ungleichheit seien ungeeignet, um diese neue Form der Ungleichheit zu bekämpfen. Ohne tiefgreifende Reformen werde sich im Westen eine neue, zur Zementierung ihrer Stellung die politische Macht an sich reißende Oberschicht etablieren.

Drei Schlüsselmerkmale erkennt Milanović beim politische Kapitalismus (von Ian Bremmer und anderen auch als Staatskapitalismus bezeichnet): Die Bürokratie des Staates habe die vorrangige Aufgabe, durch Eingriffe in die Wirtschaft für hohes Wirtschaftswachstum zu sorgen. Dazu wende die Bürokratie geltende Gesetze selektiv an, es gebe also keinen Rechtsstaat. Folglich habe der Staat die Fähigkeit, sich an den nationalen Interessen zu orientieren und den Privatsektor zu kontrollieren. Diese drei Merkmale führten jedoch zwangsläufig zu hoher Korruption und Ungleichheit. Auch hier erwartet Milanović das Entstehen einer neuen Oberschicht – die jedoch keine politische Macht anhäufen, sondern mit der Bürokratie kooperieren würde. Beide Systeme befänden sich in Konkurrenz zueinander. Während der Vorteil des liberal-meritokratischen Kapitalismus die Demokratie und ihre Lenkungswirkung sei, werbe der politische mit dem Versprechen einer effizienten Steuerung der Wirtschaft und höheren Wachstumsraten sowie gefestigter Macht für die Eliten, womit der politische Kapitalismus seine Wachstumsfähigkeit immer wieder neu unter Beweis stellen müsse und somit langfristig weniger attraktiv sei.

Globalisierung und unsere Zukunft

Abschließend skizziert Milanović die Zukunft des Kapitalismus in der Ära der Globalisierung. Seine Erwartungen sind dabei teilweise sehr ernüchternd und auf den ersten Blick pessimistisch. Der Siegeszug des Kapitalismus habe auch den Menschen und seine Moralität geändert: „Der größte Erfolg des Kapitalismus besteht darin, dass er die menschliche Natur so verändert hat, dass sich jedermann sehr gut darauf versteht, Schmerz und Lust, Gewinn und Verlust zu kalkulieren, und das bis zu einem Grad, dass wir einander selbst dann, wenn die kapitalistische Fabrikproduktion heute verschwinden würde, weiterhin Dienstleistungen für Geld verkaufen würden.“ (S. 274) Folgen dieser geänderten Moralität seien unter anderem die Eruption der Familie, die Kommodifizierung des Privatlebens sowie eine höhere Akzeptanz von Korruption. Da der Kapitalismus mittlerweile alternativlos sei, empfiehlt Milanović diese Realität schlicht zu akzeptieren – nicht akzeptieren müssten wir allerdings die zunehmende Ungleichheit. Hier fordert er vier konkrete Maßnahmen: Steuererleichterungen für die Mittelschicht und Steuererhöhungen für die Reichen, um die Vermögenskonzentration zu verringern; eine bessere Finanzierung des öffentlichen Schulsystems, um die intergenerationale Chancengleichheit wiederherzustellen; eine „Staatsbürgerschaft light“ mit zeitlicher Beschränkung und eingeschränktem Zugang zu Sozialleistungen für Arbeitsmigrantinnen und -migranten; außerdem das Verbot von privaten Wahlkampffinanzierungen, um die politische Einflussnahme der Wohlsituierten zu reduzieren.

Milanović präsentiert insgesamt solide, datengestützte Analysen und interessante Thesen zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Kapitalismus. Teils hätte dem Buch eine stärkere Fokussierung durchaus gutgetan. Sein Plädoyer, nicht nach Alternativen zum Kapitalismus zu suchen, sondern ihn gerechter zu gestalten, ist zwar – ebenso wie die konkreten Vorschläge – nicht revolutionär, aber zeitgemäß.