Das Terra-Prinzip

Ausgabe: 1996 | 4

 Steht die Weltwirtschaft als Motor der Globalisierung tatsächlich vor einem Kurswechsel um 180 Grad? Sind die rund 600 Mio. Bewohner der alten Industrienationen bereit, die Praxis der Ausbeutung der Natur und der bald 6 Mrd. Menschen, denen ein menschenwürdiges Dasein verwehrt wird, zugunsten einer langfristig ausgerichteten Gesamtverantwortlichkeit im Sinne der "Einen Welt" zu korrigieren? Ja, es gibt begründete Anzeichen dafür, argumentiert Peter Spiegel, denn es sei im Interesse der Wirtschaft selbst, den Süden angemessen und auf Dauer gleichberechtigt an ihren Erträgen zu beteiligen. Nur so nämlich könnten in Zukunft Märkte (v.a. auch für intelligente Umwelttechnologien) erschlossen werden. Der Verleger und Initiator der NGO-Initiative "Terra - One Word Network e. v", die durch ihre Aktivitäten die Unterstützung vieler Weitsichtiger aus Politik, Wirtschaft und Forschung findet - u. a. zählen Michael Gorbatschow und Ervin Laszlo zu den Förderern dieses Projekts =, belegt seine hoffnungsvollen Thesen zudem mit überzeugenden Argumenten und harten Fakten: Die Weltwirtschaftsleistung ist derart groß, daß nicht weniger als 100 Mrd. Menschen auf vorindustriellem Niveau leben könnten. Aufgrund der eklatanten Wettbewerbsvorteile des Südens (niedrige Löhne, traditionell gesichertes Sozialsystem "Großfamilie", günstige Alterspyramide) sei es eine für den Norden verfängliche Politik, darauf mit dem Abbau der eigenen Wohlfahrtssysteme zu regieren. Die Schuld des Nordens (nach Hafez Sabet macht sie 50 Bio. $ aus) müsse vielmehr durch freiwillige moderate Besteuerung im Interesse der eigenen Zukunft abgetragen werden. Würden die Konsum- und Luxusgüter der Reichen mit 2 Prozent besteuert und diese Mittel in Form von Minikrediten dem Süden für breitenwirksame Bildungs-, Infrastruktur- und Sozialmaßnahmen zur Verfügung gestellt. wie dies Initiativen wie “care & Faire", "Two Wings Network" oder "Terra" propagieren, so wäre der "Einstieg in eine Weltwirtschafts- und Weltsozialpolitik ,von unten'" möglich. Ein Beispiel: Würden die Kaffeeimporte der EU (jährlich 2 Mio. Tonnen) derart besteuert, so würde das halbe Pfund im Endverbrauch um weniger als 0,04 DM teurer, insgesamt aber 5 Mrd. aufgebracht, mehr als das Gesamtspendenaufkommen der Deutschen, das seit Jahren konstant etwa 4,1 Mrd. DM ausmacht. Um darüber hinaus zu einem dauerhaften und strukturell abgesicherten Interessensausgleich zu gelangen, plädiert Spiegel für ein Gleichgewicht und Globalorientierung der vier gesellschaftlichen Kernbereiche Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Religion. Nur wenn es gelingt, Politik aus der nationalstaatlichen Verengung zu einer gestaltenden Kraft des "Global Governance" (bei maßgeblicher Einbindung der NGOs) fortzuentwickeln, und wenn Ethik aus der Isolation privater Beliebigkeit heraustritt, um die grundlegenden Bedingungen für den gemeinsamen "Standort Erde" zu erörtern, kann Zukunft gewonnen werden. Mit diesem ungewöhnlichen, mutigen und inspirierenden Buch werden konkrete Vorschläge für ein besseres Morgen unterbreitet. Der "Terra"-Initiative gilt meine ganze Sympathie und aktive Unterstützung. W. Sp.

Spiegel, Peter: Das Terra-Prinzip. Das Ende der Ohnmacht in Sicht: Wissenschaftler werden Revolutionäre. Stuttgart: Horizonte-Verl., 1996. 234 S.,