Das sind wir unseren Kindern schuldig

Ausgabe: 2008 | 1

Kaum jemand hat mehr dafür geleistet, den Wegbereitern einer lebenswerten, nachhaltigen Zukunft Anerkennung und Ermutigung zu zollen als der Autor dieses Buches, der 1980 den „Preis für eine angemessene Lebensweise“ („Alternativer Nobelpreis“) initiierte. Mehr als ein Viertel Jahrhundert nach dieser richtungweisenden sozialen Erfindung zieht Jakob von Uexküll in einem schmalen, aber gewichtigen Buch mit Blick auf die aktuelle Weltentwicklung Bilanz. Pointiert, sachlich und zornig zugleich, doch alles andere als resigniert, legt der in der persönlichen Begegnung freundliche, in der Sache jedoch streitbare Promotor für eine andere Weltentwicklung dar, dass wir heute – man hört das nicht zum ersten Mal – vor einer historisch einzigartigen Herausforderung stehen: „Die Regeln der derzeitigen Globalisierung“, so J. v. Uexküll, „sind nicht da, um etwa aus den Interessen aller Menschen ein gemeinsames Projekt zu destillieren. Im Gegenteil, es sind Gesetze, die die Interessen einer kleinen Minderheit allen anderen aufzwingt.“(S. 19) Nicht zuletzt an den unübersehbaren Folgen des Klimawandels würden die Ergebnisse dieser desaströsen Entwicklung deutlich, deren Vielschichtigkeit der Autor klar benennt: „Ohne ein stabiles Klima nützen die Menschenrechte wenig. Es funktioniert dann auch keine Wirtschaft und keine Zivilisation. Dass es so weit gekommen ist, ist Beweis für ein unglaubliches Marktversagen und gleichzeitig ein Demokratie- und Politikversagen.“ Und weiter: „Wir haben durch unseren Werterelativismus den Sinn für Gefahrenhierarchien verloren. Alle reden vom ökonomischen Haushalten, als ob die ökonomische Nachhaltigkeit das Wichtigste wäre.“ Der drohende „ökologische Bankrott“, der mutmaßlich über „Tausende von Generationen nachwirken wird“, aber führe diesen Erfolg ad absurdum (S. 26f.)

 

Es gehe, so der Autor, um nicht weniger als „die Wiedereroberung unseres Selbst als mündige Bürger, um das Erwachen aus dem kindlichen Traum der globalen Konsumkultur permanenter Unreife, Unzufriedenheit und Unverantwortlichkeit“

 

(S. 30). Auch die Alternative wird klar benannt: Wir könnten eine zukunftsgerechte Ethik nur entwickeln, indem wir unser materialistisch-mechanistisches Weltbild hinterfragen, das „nicht die Würde des Menschen, sondern seine ökonomische Verwertbarkeit ins Zentrum stellt“ (S. 38f.). Es gebe, so eines der zentralen Argumente des Autors, für den notwendigen grundlegenden Wandel einen breiten, ja „weltweiten Konsens über Bürgerwerte und Werteprioritäten. Dieser Grundkonsens besteht über verschiedene Weltanschauungen hinweg und wird von Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten und Ländern geteilt.“ (S. 46) Heute gehe es – mit E. F. Schumacher formuliert – darum, „ein Maximum an Wohlergehen mit dem Minimum an Konsum zu erreichen“ (ebd.) – eine  Herausforderung vor allem für die Minderheit der in Wohlstand lebenden.

 

Die Entwicklung einer globalen Ethik sei vor allem in Anbetracht des Klimawandels unabdingbar. „Er ist die größte vorstellbare Bedrohung der Freiheit und Sicherheit unserer Kinder und der nachfolgenden Generationen. Klimawandel zu verursachen“, so v. Uexküll drastisch, „ist intergenerationeller Terrorismus und Völkermord“ (S. 54). Die Wende in Richtung einer ökologischen Kreislaufökonomie stelle die größte Herausforderung für Unternehmer und Politik dar. Sie erfordere Visionäre und nicht Besitzstandwahrer. Unlauter aber sei es auch, den Armen falsche Versprechen zu machen, „denn die Industrialisierung der ganzen Welt“ [in der aktuellen Form, W. Sp.] „würde das Ende der Biosphäre bedeuten.“ (S. 69) Nicht vorrangig von den USA, wo beispielsweise der aktive Wortschatz eines durchschnittlichen 14-jährigen seit 1950 um 60 Prozent zurückgegangen ist, sondern von der Sparsamkeit der JapanerInnen (mit einem Pro-Kopf-Vermögen von 100.000 US-Dollar) etwa sollten wir lernen, meint Uexküll, ohne zugleich für eine massive Umverteilung als zur Förderung einer nachholenden Entwicklung einzutreten (vgl. S. 81ff.). Um dem heute als „unantastbar und alternativlos“ geltenden „Wirtschaftsfeudalismus“ entgegen zu wirken, müssten international anerkannte und wirksame Abkommen „zum besseren Schutz der grundlegenden menschlichen Werte, einschließlich des Rechts auf Vielfalt gegen die Bedrohung einer globalen Monokultur“ entwickelt und umgesetzt werden (S. 91).

 

Dezidiert wirbt der Autor auch für eine ökosoziale globale Marktwirtschaft (S. 92) und tritt dafür ein, „den gesellschaftlichen Raum zu entkommerzialisieren, damit sich tatsächlich mündige Bürger und Staaten gegenüberstehen und nicht nur Konsumenten und allmächtige Finanzmärkte“ (S. 97).

 

Einmal mehr wird für die Einrichtung von „Zukunftsräten auf allen Ebenen“ geworben, um uns auf der schwierigsten Reise zu begleiten, die die Menschheit je unternommen hat –  „den Übergang zu einer solidarischen, zukunftsgerechten globalen Gemeinschaft“ (S. 104). Der vom Verfasser initiierte Weltzukunftsrat soll „uns schon jetzt vor dem Zorn unserer Enkel warnen, wenn wir nicht radikal die Richtung ändern. (...) Durch seine Veröffentlichungen und Hearings wird er helfen, die globale Debatte zu enttrivialisieren und transparent zu machen, wie die Weichen für unsere Zukunft gestellt werden“, ist der Verfasser überzeugt. Im den Band beschließenden Interview sieht er sich als Wegbereiter des „realistischen Fortschritts“. Nicht ohne Grund: Denn wo nicht nur Pioniere des Wandels, sondern immer mehr Menschen von der Notwendigkeit und Machbarkeit eines grundlegenden Kurswechsels überzeugt sind, gewinnt das heute noch Unwahrscheinliche an Kontur und nimmt Gestalt an. Worauf sonst sollten wir bauen? W. Sp.

 

Uexküll, Jakob v.: Das sind wir unseren Kindern schuldig. Hamburg: EVA, 2007. 148 S., € 16,90 [D], 17,40 [A], sFr 29,60

 

ISBN 978-3-434-50611-9