Der Wirtschaftsjurist Toni Andreß legt ein umfassendes Reformkonzept für die „Lösung unserer Wirtschafts- und Umweltkrisen“ vor. Irritierend ist der Titel des Buches „Das postkapitalistische Manifest“ – denn die Abhandlung ist kein programmatischer Text, sondern bietet eine Vielzahl an Detailreformen mit zahlreichen, empirischen Befunden, die in eine sozialökologische Marktwirtschaft münden sollen. Ob damit der Kapitalismus überwunden würde, bleibt offen. Aber der Reihe nach. Das Buch gliedert sich in die vier Abschnitte „Kapital“, „Umwelt“, „Arbeit“ und „Markt“. Historischen Herleitungen und aktuellen Befunden folgen jeweils Vorschläge des Autors und deren mögliche Auswirkungen.
Im Kontext von Kapital plädiert Andreß für Schwundgeld, also anstatt Geld gegen Zinsen zu verleihen, sollte eine geringe Verwaltungsgebühr „unabhängig von der Bonität der Kreditnehmenden vergeben werden“ (S. 37). Zudem sollte die Geldschöpfung ausschließlich durch staatliche Institutionen erfolgen. Der Autor erwartet dadurch die Zurückdrängung der Vermögensspreizung, Finanzmarktstabilität und den Abbau der Überschuldung. Das Geld würde dorthin fließen, wo es den größten Nutzen stiftet, nicht die größte Rendite erzielt: „Ein Nullzinsniveau hätte positive Auswirkungen auf Investitionen, die einen hohen gesellschaftlichen Nutzen haben, jedoch oft nur geringe Rendite generieren“ (S. 47). Börsennotierte Unternehmen – ein Wesensmerkmal des Kapitalismus – will der Autor nicht verbieten, aber Gewinne aus Renditen höher besteuern. Bei systemrelevanten Konzernen sollen nationale oder europäische Beteiligungen vorgeschrieben sowie Staatsfonds inkludiert werden.
Ausgeweiteter Emissionshandel auf mehr Unternehmen
Im Umweltkontext schlägt Andreß die Ausweitung des Emissionshandels auf mehr Unternehmen sowie alle Treibhausgase, auch Methan und Lachgas, vor. Die Einnahmen sollten jenem Staat zufließen, bei dem die Emissionen tatsächlich verursacht wurden. Zudem müssten auch Schiffs- und Flugtreibstoff besteuert werden. Eine Ökoprämie sollte Natursystemleistungen, etwa durch Aufforstung, abgelten, ein ausgeweitetes Pfandsystem die Kreislaufwirtschaft vorantreiben, eine Weltumweltbehörde globale Maßnahmen koordinieren.
Grundeinkommen als Vorschlag
Als zentrale Maßnahme im Bereich Arbeit schlägt der Autor ein Grundeinkommen vor, das mit den sonstigen Einkommen verrechnet und bis zu einem monatlichen Nettoeinkommen von 2.000 Euro ausbezahlt würde, da „in dieser Einkommensschicht die Konsumquote hoch und die Sparquote gering ist“ (S. 240). Andreß macht für Deutschland hierfür 55 Millionen Anspruchsberechtigte aus, deren Einkommen unter dieser Grenze liegt. Finanziert würde das Grundeinkommen durch eine „angemessene Vermögenssteuer“ (S. 242) sowie eine einheitliche Umsatzsteuer, etwa auch für Finanzgeschäfte. Gespart werden könnten „überteuerte Prestigebauten, überflüssige Straßen und mangelhafte Rüstungsgüter wie Schiffe, Flugzeuge und Panzer“ (S. 244) sowie „Subventionen mit eher fragwürdigem gesellschaftlichen Nutzen“ (S. 245), etwa Finanzhilfen für die Steinkohleindustrie. Als positive Auswirkungen eines Grundeinkommens nennt Andreß die freiwillige Reduzierung der Arbeitszeit, die Zunahme ehrenamtlicher Tätigkeiten sowie die weitere Steigerung der Arbeitsproduktivität und Automatisierung.
Plädoyer für einen fairen Freihandel
Schließlich plädiert der Autor für einen tatsächlich fairen Freihandel. Damit dieser sozial- und umweltverträglich gestaltet werden kann, müssten – so der Vorschlag – neben einer unabhängigen Globalwährung und globalen Mindeststeuern ein existenzsicherndes Grundeinkommen sowie die Teilnahme am Emissionshandel Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der WTO sein (vgl. S. 293).
Resümee: Andreß bringt zahlreiche Vorschläge zur Reform der weltweiten Wirtschaftsordnung, in deren Zentrum ein Geldsystem im Sinne der Freiwirtschaftslehre, der Übergang zu staatlich geschöpftem Vollgeld, ein bedingungsloses Grundeinkommen, der Handel mit Umweltzertifikaten sowie die Begrenzung der Vermögensakkumulation stehen. Vorschläge, die auch andernorts bereits getätigt wurden. Als Lücke bleibt, wie die Vorschläge in die Tat umgesetzt werden und auch welche Gegenargumente es dafür gibt. Denn über Schwund- und Vollgeld wird ebenso kontrovers gestritten wie über ein Grundeinkommen.