Andreas Malm

Corona, Clima, Chronic Emergency

Ausgabe: 2021 | 2
Corona, Clima, Chronic Emergency

Wie lässt es sich erklären, dass Staaten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie drastische Einschnitte in Wirtschafts- und Gesellschaftsleben veranlasst haben, während sie bei der Klimakrise, trotz jahrzehntelanger Forschung, mehr oder weniger untätig bleiben? Der schwedische Humanökologe Andreas Malm führt dies unter anderem auf die „timeline of victimhood“ (S. 20) zurück. Während die Klimakrise ihre ersten Opfer im globalen Süden fordert, waren es bei Covid-19 vor allem die reichen Länder des globalen Nordens, die zuerst getroffen wurden. Zudem schützen die getroffenen Corona-Maßnahmen vor allem die eigene Bevölkerung, während Anstrengungen zur Emissionsminderung auf globaler Ebene wirken. Doch bei näherer Betrachtung werde deutlich, dass der Anschein energischen Handelns bei der Corona-Pandemie trügt. Tatsächlich würden lediglich die Symptome bekämpft.

Ursprung der Pandemie und Bekämpfung der Ursachen

Seit Jahren schon warnt die Wissenschaft vor der zunehmenden Gefahr von Zoonosen. Dabei handelt es sich um Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden können. Seit den 1980er Jahren ist die Zahl neuer Infektionskrankheiten, die von Wildtieren abstammen, stark angestiegen. Das hat damit zu tun, dass Menschen immer weiter in die Natur vordringen. Vor allem durch die Abholzung tropischer Wälder werden Wildtiere aus ihren natürlichen Lebensräumen vertrieben. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass tierische Erreger mit Menschen in Kontakt kommen.

Auch der Handel mit Wildtieren erhöht die Gefahr von Zoonosen. Covid-19 stammt höchstwahrscheinlich von einem sogenannten „wet market“ in Wuhan, wo Tiere erst kurz vor dem Verkauf geschlachtet werden und auch Wildtiere zum Verkauf angeboten werden. Doch Malm macht deutlich, dass es sich beim Kon-sum von Wildtieren um kein spezifisch chinesisches Phänomen handelt. „The extinction market is part of how the one per cent lives, not the essence of any national culture.“ (S. 67) So befänden sich mehr Tiger in US-Privatbesitz als in freier Wildbahn.

Zudem reicht die Übertragung eines mutierten Virus auf Menschen an einem Ort der Welt nicht aus, um eine weltweite Pandemie auszulösen. Dafür sind globale Transportnetze und Handelsströme notwendig, über die sich ein Erreger über die ganze Welt verbreiten kann. 

Für Malm können Corona- und Klimakrise nicht getrennt voneinander betrachtet werden, denn sie haben gemeinsame Ursachen: Die Umweltzerstörung getrieben durch den globalen Kapitalismus, für den unberührte Natur nutzlos, ja sogar „worthless waste“ (S. 77) ist. Das Kapital kann nur weiterbestehen, wenn es sich ausbreitet, Natur in Waren verwandelt und daraus Profit generiert.

Um der Gefahr wiederkehrender Pandemien und einer weiteren Erhitzung des Planeten entgegenzuwirken, wäre ein sofortiger Stopp der Abholzungen und die Wiederaufforstung tro-pischer Wälder notwendig. Für die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf maximal 1,5 Grad müssten die Treibhausgasemissionen jährlich um 7,6 Prozent sinken. Um diese drastischen Änderungen zu erreichen, könne man nicht auf einen spontanen Rückgang der Konsumnachfrage hoffen, oder dass die Fleisch- oder Palmöl-Industrie ihr Geschäftsmodell freiwillig aufgibt. Stattdessen brauche es – zumindest vorübergehend – gezielte staatliche Eingriffe in die Wirtschaft. In durchaus provokanter Absicht fordert Malm einen „Öko-Leninismus“. Darunter versteht er den Perspektivwechsel von Symptomen hin zu Ursachen, denn, so Malm, „this emergency is chronic, which means that crises of symptoms will ignite again and again“ (S. 148). Ölkonzerne müssten verstaatlicht und deren fossile Produktion eingestellt werden. Stattdessen sollten deren Infrastrukturen und Know-how fortan für die Abscheidung und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre genutzt werden. Auch der Konsum von Gütern wie Rindfleisch, Palmöl, Schokolade oder Kaffee müsse reguliert werden, schließlich treibt deren Nachfrage die Rodung von tropischen Wäldern und damit den Klimawandel weiter an.

Forderung nach einem starken Staat

Für die Koordinierung und Durchsetzung solcher Maßnahmen brauche es einen starken Staat. Somit teilt Malm jenen linken Strömungen eine Absage, die vor allem auf einen Wan-del von unten setzen. Dass staatliche Einschränkungen nicht unbedingt auf Widerstand stoßen, habe die Corona-Pandemie gezeigt.  „Apparently, the idea that some things will have to stand aside when many lives are at stake wasn’t too difficult to sell to the public.“ (S. 27) Außerdem würden die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise wohl kaum das Ausmaß von Freiheitseinschränkungen annehmen, wie es im Lockdown der Fall war. Malm zeichnet zuweilen ein düsteres Bild der Zukunft, legt aber gewohnt scharfsinnig und pointiert dar, wie ein Ausweg aus dem chronischen Notstand aussehen könnte.