Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie ist der ländliche Raum wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Der Sammelband „Ungleiche ländliche Räume“ hat das Ziel, dieses öffentliche Bewusstsein mit einem gesellschaftstheoretischen und empirischen Fundament zu untermauern.
Die Beiträge des ersten Abschnitts bieten einen spannenden Querschnitt zu Theorien (kritischer) ländlicher Geographie sowie historische Entwicklungen und heben die Folgen von Zuschreibungsmechanismen hervor: „Ländliche Räume sind […] nicht per se als ‚ländlich‘ vorhanden, sondern werden durch […] gesellschaftliche Zuschreibung zu ländlichen Räumen gemacht“ (S. 90). Eine der Problematiken, die diese städtisch voreingenommene Zuschreibung nach sich ziehe, sei die Annahme einer homogenen ländlichen Bevölkerung, die wiederum differenzierte Forschung und wirksame politische Maßnahmen erschwere.
Im Hauptteil des Buches werden empirische Erkenntnisse geteilt. Besonders aufschlussreich ist die ungleichheitssoziologische Betrachtung von Claudia Neu, in welcher sie die Notwendigkeit der Erforschung ungleicher Verteilung von Infrastruktur betont: „Wenn Räume also Lebenschancen strukturieren, dann liegt es nahe, nach dem Ausmaß der regionalen Disparitäten […] zu fragen, um einen Blick auf die dauerhafte Bevorzugung oder Benachteiligung von Menschen(gruppen) und Räumen zu haben.“ (S. 242) Der Beitrag zeichnet eindrucksvoll und komprimiert auf, wie mangelnde Infrastruktur und der öffentliche Diskurs Verlustnarrative verfestigen, wodurch Menschen im ländlichen Raum eher das Gefühl bekommen, in einer abgehängten Region zu leben.
Auch der Beitrag „Zweiklassengesellschaft auf dem Land“ bietet interessante Erkenntnisse, indem aufgezeigt wird, wie sozialstrukturelle Effekte kommunaler Förder-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Wahrnehmung des öffentlichen Raums Ungleichheiten überdecken: Versteckte Armut auf dem Land bliebe in der öffentlichen Auseinandersetzung häufig hinter der städtischen Armut zurück, obwohl sie wegen schlechterer Infrastruktur stärker ausgrenzend wirken kann.
Mit dem letzten Abschnitt, in dem ländliche Räume im Kontext von Flucht, Migration und Populismus untersucht werden, bietet der Sammelband einen lesenswerten Überblick über den aktuellen Forschungsstand des Gebiets.