Aufforderung zu einem erweiterten Naturverständnis

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Der zuweilen - und wohl nicht ganz zu Unrecht - geäußerten These, Vertreter anthroposophischen Gedankengutes würden sich in quasi elitärer Besonnenheit einem konstruktiven Dialog mit der "aufgeklärten" Wissenschaft versagen, widerspricht diese Dokumentation einer Tagung, die Anfang 1986 an der ETH Zürich abgehalten wurde. Übereinstimmend kommen renommierte Agrarexperten und anthroposophisch orientierte Wissenschaftler zu dem Schluß, daß das komplizierte "Ökosystem Wald" durch analytische Befunde nicht erfaßt, und daher auch von den zersetzenden Einflüssen zivilisatorischen Fortschritts nicht geheilt werden kann.

Selbst gutgemeinte Versuche, die angegriffenen Bestände durch schadstoffresistente Gattungen zu sanieren, würden weitere tiefgreifende Störungen des Naturhaushalts zur Folge haben. Doch nur auf den ersten Blick kann die Empfehlung, zum Wohle der angeschlagenen Natur am besten jeden Eingriff zu unterlassen, als bedingungslose Kapitulation aufgefaßt werden.

Wie vor allem Wolfgang Schad und umfassender noch Andreas Suchantke darstellen, geht es darum, über die unbestreitbaren Vorzüge monokausalen Denkens zu einer ganzheitlichen Perspektive zu gelangen. Im Verweis auf physiologische, psychologische und ethnologische Entwicklungslinien kommt Suchantke zu der Auffassung,' daß das Entwicklungsstadium der Industriegesellschaft jenem eines Kindes gleichzusetzen ist. Das Bedürfnis nach Wohlstand bzw. Sicherheit müsse einem verantwortungsvollen, partnerschaftlichen Umgang mit der Natur Platz machen. Dazu aber bedarf es der Ausbildung erweiterten Denkens, das heute vielfach gesucht, mehr noch erahnt als praktiziert wird, und das doch an Einfluß gewinnt.

Die hier herausgestellten Überlegungen lassen den praktischen Bezug zum Thema "Waldsterben“ vielleicht zu weitläufig und willkürlich erscheinen. Manches an anthroposophischem Vokabular mag den' Außenstehenden auch irritieren. In der Sache aber überzeugt dieses schmale Bändchen durch die Reflexion weiter, tiefgreifender Zusammenhänge, wie sie nicht allzu oft zu finden ist. Konkrete Anregungen für praktisches Handeln sind hingegen an dieser Stelle kaum auszumachen. Und es ist fraglich, ob genügend Zeit bleibt, im Wett/auf mit der Ausbeutung der Natur auf die Selbstheilungskräfte des Menschen zu vertrauen.

Waldsterben. Aufforderung zu einem erweiterten Naturverständnis. Denk und Handlungsansätze für den Umgang mit dem Lebendigen. Hrsg. v. Günter R. Schnell u.a. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben, 1987. 177 S. DM 20,-/ sFr 15,80/öS 156,-