Frank Uekötter forscht zur Geschichte der Umweltpolitik und schreibt mit „Atomare Demokratie“ eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland. Dabei fokussiert er auf die Debatte über den Ausstieg aus der Kernenergie ab den 1970er-Jahren. Im Unterschied zu Bänden zur Anti-AKW-Bewegung bleibt er auf Distanz zu diesen Gruppen, folgt dem Diskurs in die Welt der Techniker:innen und Energieunternehmen, in die politischen Parteien und Parlamente. Uekötters „Held“ ist das Zusammenspiel der Kräfte in der deutschen Demokratie. Der Atomausstieg sei ein Gemeinschaftswerk, ein Produkt von Gesprächen, von langwierigen Lernprozessen und der Bereitschaft der Beteiligten, das eigene Verhalten auch mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. (S. 305)
Es habe in der Bundesrepublik im Laufe der Zeit eine fortschreitende Pluralisierung legitimer Anliegen gegeben. Dazu gehörten die Angst vor einer nuklearen Katastrophe ebenso wie die Rechtssicherheit für milliardenschwere Investitionen, die Annehmlichkeiten des Massenkonsums, Gesundheit und Leben von Demonstrant:innen und Polizist:innen sowie die Stabilität der Wirtschaftsordnung. (S. 292)
Eine Geschichte großer Konfrontationen
Uekötter erzählt die Geschichte der großen Konfrontationen. Die Konflikte in Wyhl, die Auseinandersetzung in Brokdorf und die Proteste gegen das Entsorgungszentrum in Gorleben werden rekapituliert. Der Konflikt um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf war für den Autor ein „Tiefpunkt“, wo sich „Bürger und Obrigkeit in einem hässlichen Stellungskrieg verbissen und niemand mehr redete.“ (S. 294)
Neben den Schauplätzen der Auseinandersetzung widmet sich Uekötter auch der schriftlichen Hinterlassenschaft der Bewegung. Es sei der Anti-AKW-Bewegung gelungen, ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln und Verständnis für individuelle Betroffenheit zu erzeugen. Darüber hinaus habe dies auch zu Lernprozessen geführt, die die Debatte in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit rückte. Die Langlebigkeit der Anti-Atomkraftbewegung sei einer der wichtigsten Faktoren für deren Erfolg gewesen – gerade wenn man bedenke, dass diese „zu keinem Zeitpunkt eine homogene Bewegung“ (S. 21) gewesen war. Robert Jungks Buch „Der Atomstaat“ habe eine wichtige Rolle dabei gespielt, sei die „Bibel“ der Proteste gewesen, auch wenn Uekötter die Diktion des Buches kritisiert. Uekötters breiter Blick fängt auch die Veränderungen in der Atomwirtschaft ein. „Man kann den Atomkonflikt nur verstehen, wenn man bedenkt, dass es nicht nur eine Dynamik der Öffentlichkeit und der Medien gab, sondern auch eine dynamische Entwicklung des nuklearen Projekts [...]. Der Atomprotest traf auf einen nuklearen Komplex, der ganz anders aussah als geplant und mit zahlreichen unerwarteten Problemen vom Genehmigungsrecht bis zu Entsorgung zu kämpfen hatte. Es waren diese internen Probleme und die daraus resultierende Verunsicherung der Atomwirtschaft, die der Anti-Atomkraftbewegung ihre eigentliche Durchschlagskraft verliehen.“ (S. 296) Dazu kamen haarsträubende Pannen und Unfälle sowie ein Transnuklear-Skandal, „der für alle Zeiten die Ansicht widerlegte, es könne in einem großtechnischen System wie der Atomkraft so etwas wie einen allgemeinen Lernprozess geben“ (S. 299).
Die Deeskalation und der Atomausstieg basierten schlussendlich nicht nur auf dem Beschluss der Bundesregierung. Diesem waren Jahrzehnte an Protesten vorausgegangen und Veränderungen in der Öffentlichkeit wie auch in der Industrie, „wo sich eine gewisse Besonnenheit“ (S. 298) durchgesetzt hatte.