Klaus Wiegandt (Hg.)

3 Grad mehr

Ausgabe: 2023 | 2
3 Grad mehr

„Drei Grad mehr, was für Landgebiete und damit auch für unsere Breiten im Schnitt zu 6 Grad höheren Temperaturen führen wird, wird das Leben der Menschen in einer nie dagewesenen Dimension verändern und bedrohen. Nur wenn dies der großen Mehrheit der Bevölkerung aufgezeigt und bewusst wird, kann und muss die Politik Maßnahmen in Gang setzen, um die Erderwärmung, soweit es jetzt noch möglich ist, zu begrenzen“ (S. 8f.)  – so Klaus Wiegandt, der 1998 die Stiftung „Forum für Verantwortung“ gegründet und mittlerweile zahlreiche Publikationen mit exzellenten Wissenschaftler:innen herausgegeben hat. Dies gilt auch für den vorliegenden Band „3 Grad mehr“.

Wie sieht eine wärmere Welt aus?

Der Band gliedert sich in drei Abschnitte. In „Heißzeit voraus“ wird geschildert, wie eine drei Grad wärmere Welt aller Voraussicht nach aussieht. Es geht um die mittlerweile bekannten Klimaveränderungen, aber auch um die Folgen für die Biodiversität, die Landwirtschaft, das Migrationsgeschehen sowie die Wirtschaft insgesamt. Gesprochen wir von einem „Waldsterben 2.0“ (Bernhard Kegel, S. 43) sowie von der Abnahme der landwirtschaftlichen Erträge bei gleichzeitiger Zunahme des Bedarfs an Lebensmitteln (Ralf Seppelt u. a., S. 57) – mehr Kunstdünger führt nicht mehr zu besseren Ernten, heißere Temperaturen und mehr Pflanzenkrankheiten verschärfen die Ertragseinbußen. Die Lösung liege nicht in einem Mehr an Produktion, sondern in der Unterbindung von Ernteverlusten und Lebensmittelabfällen, durch die jeweils 30 Prozent der produzierten Nahrung verloren gehen, so die Autoren dieses Beitrags (S. 78). Die wirtschaftlichen Schäden einer um drei Grad wärmeren Erde werden in einem weiteren Artikel detailliert für einzelne „Schadenskanäle“ vorgestellt. Allein Überschwemmungen könnten zu jährlichen Mehrkosten von 40 Mrd. Euro führen, so Leonie Wenz vom Potsdam Institut und Friderike Kuik von der EZB. Der schon jetzt jährlich durch Hitzewellen verursachte Schaden wird allein für die USA auf etwa 100 Mrd. US-Dollar geschätzt (S. 104f.). Komplexe Wirkungsketten werden neben den unmittelbaren Kosten zu „Schadenskaskaden“ (S. 107) führen, die „Versicherungslücken“ (S. 117) werden steigen – in Europa seien derzeit nur 35 Prozent der Schäden durch Extremwetterereignisse versichert, so die Autorinnen.

Expert:innen unterschiedlicher Disziplinen zeigen in „Naturbasierte Lösungen“, wie durch einen Stopp der Regenwaldzerstörung, die Aufforstung in den Tropen und Subtropen, die Wiedervernässung von Mooren, die Humusanreicherung in Böden sowie durch Verdunstungskühlung Kohlendioxid wieder gebunden und Klimaverbesserungen erreicht werden können. Dieser Abschnitt enthält viel Neues, über das in der Klimadebatte weniger gesprochen wird. Hans Joachim Schellnhuber plädiert einmal mehr für eine nachhaltige Nutzung von Holz im Bausektor („Bauhaus für die Erde“, S. 169ff.).

Fragen der Mobilisierung für einen wirksamen Klimaschutz

Mit  „Call to Action“ geht es dann um Fragen der Mobilisierung für einen wirksamen Klimaschutz. Allmendinger und Schröder vom Wissenschaftszentrum Berlin skizzieren die Auswirkungen der Klimakrise auf die bundesdeutsche Gesellschaft sowie die sozioökonomischen Verteilungskonflikte, die bei einem Einhalten der angepeilten THG-Reduktionsziele drohen. Die beiden beschreiben die Auswirkungen der zu ergreifenden Maßnahmen in den Bereichen Verkehr, Wohnen, Ernährung und Gesundheit. Wenn die Einkommensarmut nicht beseitigt wird, folge dieser die „Mobilitäts- und Energiearmut“ (S. 280); ärmere Haushalte würden sich Lebensmittel schwerer leisten können, da diese sowohl durch den Klimawandel und den Umstieg auf ökologische Landwirtschaft teurer werden. Auch deren Krankheitsrisiken würden überproportional steigen. Ihr Fazit : „Angesichts der sozial ungleichen Betroffenheit spricht vieles dafür, dass eine sich vertiefende Spaltung die wahrscheinlichere Perspektive ist. Dies gilt es durch politische Entscheidungen und deren engagierte Kommunikation zu verhindern.“ (S. 287). Wiegandt rechnet abschließend nochmals die Kosten des Nicht-Handelns vor: Die volkswirtschaftlichen Schäden eines Drei-Grad-Szenarios würden 10 Prozent des Weltsozialprodukts ausmachen (S. 289). Wiegandt setzt neben Effizienzsteigerungen und erneuerbaren Energien aber auch auf Suffizienz sowie die bereits angesprochenen „naturbasierten Lösungen“ – allein der Stopp der Regenwaldabholzug würde 4,7 Mrd. Tonnen CO2 im Jahr einsparen. Für die Finanzierung der Klimamaßnahmen schlägt Wiegandt eine Finanztranskations- und Erbschaftssteuer, die Reduzierung der Militärhaushalte sowie Staatsfonds vor.

Ein wertvoller Band mit vielen Fakten und anschaulichen Grafiken. Etwas zu kurz kommt die Kritik an den nach wie vor auch staatlich geförderten Fossilstrukturen, an denen Öl- und Kohlekonzerne noch immer gut verdienen.