Ansichten über die bedrohte Demokratie in Deutschland

Ausgabe: 1993 | 2

Dem Konzept der zivilen Republik, die sich auf den Konsens der in ihr lebenden Demokratinnen stützt, weht seit einigen Jahren ein eisiger Wind entgegen. Fremdenfeindlichkeit bis hin zum blanken Rassismus, brennende Asylantenheime, Pogrome kahlgeschorener Deutschtümler, vor allem aber die Sympathie mit der Gewalt vor Ort und vor den Fernsehschirmen: Droht mit der "Wiedervereinigung" auch das Wiedererstarken des deutschen Herrenmenschen-Nationalismus? Mit dieser Problemstellung beschäftigen sich Prominente aus Wissenschaft, Publizistik, Politik und Kultur in insgesamt 42 Stellungnahmen, die meisten davon Originalbeiträge. Kann die Notwendigkeit der Verteidigung der bedrohten Demokratie in Deutschland auch als Konsens herausgestrichen werden, so bedingt doch die Fülle der vertretenen Ansichten eine große Bandbreite an Analysen, Perspektiven und Vorschlägen. Die bitteren wirtschaftlichen Erfahrungen In den neuen Bundesländern interpretieren viele Autorinnen als Beweggrund dafür, aufgestaute Aggressionen gegen Fremde zu richten und eine "Ethnisierung sozialer Konflikte" (Wolfgang Thierse) voranzutreiben. Historisch orientierte Ansätze betonen hingegen die mangelnde Aufarbeitung der Vergangenheit in beiden deutschen Staaten, deren Folgen die heutige Situation belasten. Denn während im Westen eine "Systemschwäche" gegenüber dem Rechtsextremismus ein entschlossenes Vorgehen des Staates gegen die Gewalt verhindert (Ralph Giordano), verschafft sich im Osten ein stumpfer Protest gegen den jahrzehntelang verordneten SED-Antifaschismus Gehör. An der Frage, wie einer solidarischen, demokratischen Entwicklung dennoch zum Durchbruch verholfen werden könnte, scheiden sich die Geister. Rufen einige nach Gegengewalt, fordern "hartes Durchgreifen" (Hans Werner Henze) oder gar die "Zivilisierung des Ostens mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" (Thomas Schmid), suchen andere nach politischen Lösungen. Eine differenzierte Analyse des „Ausländerproblems", die Überwindung einer ethnischen Nationsdefinition und die Anerkennung des Faktums, daß Deutschland längst zum Einwanderungsland geworden ist, werden dabei als Beispiele genannt. G. S.

Für eine zivile Republik. Ansichten über die bedrohte Demokratie in Deutschland. Hrsg. v. Wilhelm v. Sternburg. Frankfurt/M.: Fischer TB-Verl., 1992. 208S., DM 12,90/ sFr 10,90/ öS 100,60