Deutsche Zustände. Dialog über ein gefährdetes Land

Ausgabe: 1993 | 2

Um das Phänomen des Rassismus in Deutschland erkennen und bekämpfen zu können, sei ein ständiger Dialog zwischen Deutschen und Ausländern nötig. Bahman Nirumand, Journalist und Schriftsteller in Berlin, hat angesichts der derzeit besonders virulenten Neurose dieser Gesellschaft, die es offenbar nötig hat um das Selbstverständliche so viel Aufwand zu treiben" (Delius), sechs Dialoge zwischen Ausländern und Deutschen zusammengestellt. Persönliche Erfahrungen der Autorinnen mit typisch deutscher Xenophobie verdeutlichen die realen Lebensumstände von Migrantlnnen in Deutschland, die im Rahmen der öffentlichen Diskussion kaum thematisiert werden. Aufgesetzt wirkende "Pro-Ausländer-Kampagnen" verschiedenster Organisationen werden kritisch beleuchtet und auf ihre langfristigen Konsequenzen hinterfragt. Was passiert, wenn die Kerzen der Lichterkette abgebrannt sind? Berechtigterweise steht das völkische, noch aus der Kaiserzeit stammende Staatsangehörigkeitsrecht der BRD im Kreuzfeuer der Kritik, da es entgegen elementaren republikanischen Grundsätzen die Staatsangehörigkeit nach der ethnischen Herkunft der Eltern regelt. Den Medien schreibt Asher Reich, israelischer Schriftsteller in Tel Aviv, eine entscheidende Rolle zu, die er allerdings vielfach nicht verantwortlich verwirklicht sieht. Die Repräsentanten der "Welle des Nazismus" werden durch ihr öffentliches Auftreten untergründig aufgewertet, so daß sowohl ihr Reden als auch ihr Handeln legitimiert werde. In der Dialogsammlung werden die rassistischen Übergriffe in den europäischen Kontext eingeordnet, ohne deutsche Besonderheiten auszuklammern. Diese bestehen nach Daniel Cohn-Bendit nämlich darin, daß Institutionen und ihre Öffentlichkeit nicht in der Lage sind, „fremdenfeindliche Dispositionen in Schach zu halten, zu ächten und der Selbstkontrolle zu unterwerfen". Den Asylkompromiß bezeichnet Asher Reich als "schändlichen Unterwerfungsakt" der Demokratie, die sich damit dem "Pöbel der Straße" andiene. Denn wer würde schon. wie Peter Schneider es zugespitzt formuliert, die Schändung von jüdischen Friedhöfen zum Anlaß für die Frage nehmen, ob es in Deutschland etwa zu viele jüdische Friedhöfe gebe? M. K.

Deutsche Zustände. Dialog über ein gefährdetes Land. Hrsg. v. Bahman Nirumand. Hamburg: Rowohlt, 1993. 154 S., DM 9,90 I sFr 8,40 löS 77,20