6 Bücher. 6 Themen

Ausgabe: 2021 | 4
6 Bücher. 6 Themen

Sechs kurze Rezensionen finden Sie nachfolgend, geschrieben von Janine Heinz, Laurenz Bub, Katharina Kiening, Paul Marsden, Dhenya Schwarz, Stefanie Gerold. Im Fokus: Bücher von Colin Crouch, Gabriele Winkler, Kae Tempest, Dan Hicks, Jenny Odell, Tim Jackson. 

Postdemokratie revisited

Über 20 Jahre nach Postdemokratie legt Colin Crouch mit Postdemokratie revisited erneut eine Bestandsaufnahme der westlichen Demokratie vor. Das Nachfolgewerk gibt aber keine Entwarnung vor der Entleerung der Demokratie, im Gegenteil. Crouch führt diese anhaltende Verschlechterung unter anderem auf die Anfälligkeit für Manipulation der Politik, übermächtige Monopole, die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Finanzkapitalismus und geschwächte Institutionen zurück ­– und empfiehlt mitunter, eben jene Institutionen zu stärken, um der Postdemokratie entgegenzutreten. JHE

Colin Crouch: Postdemokratie revisited. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021; 278 Seiten

 

Solidarische Care-Ökonomie

Der Hinweis auf die sozial-ökologischen Widersprüche des Kapitalismus ist nicht neu. Gabriele Winker führt am Beispiel der Sorgearbeit jedoch sehr anschaulich aus, wie Konkurrenz und Wettbewerb sowohl zur Überlastung der Ökosysteme als auch zu einer Krise der sozialen Reproduktion führen. Beide Krisen – so die Kernthese – lassen sich dabei nicht innerhalb des Kapitalismus auflösen. Als Alternative wird das Konzept der solidarischen Care-Ökonomie vorgestellt, die frei von neoliberalen Verwertungsansprüchen ist und stattdessen Bedürfnis- und Gemeinwohlorientierung in den Mittelpunkt rückt. LB

 

Gabriele Winker. Solidarische Care-Ökonomie. Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima. transcript Verlag, Bielefeld 2021; 216 Seiten

Verbundensein

Rap, Lyrik, Literatur – Kae Tempest brilliert darin. Nun liegt der erste Essayband vor. Die formulierten Ideen mögen nicht neu sein, aber es ist ein Erlebnis sie in dieser dringlichen, kunstvollen Sprache – die englische Originalausgabe sei ans Herz gelegt – zu lesen und damit einen unmittelbaren Zugang zu erhalten. Tempest schreibt von einer Kreativität, die sich auf alles bezieht, das mit Aufmerksamkeit, Geschick und Erfindungsgabe einhergeht; von Verbundensein, was sich mit einem starken Bewusstsein und Gefühl des Seins, einer Verankerung in der Gegenwart beschreiben lässt; und von einer Kombination dieser Punkte, also von einem kreativen Verbundensein, davon wie wir durch Kreativität eine tiefere Beziehung zu uns selbst, unseren Mitmenschen und der Welt aufbauen können. KK

Kae Tempest: Verbundensein. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021; 137 Seiten

The Brutish Museums

Egal in welchem Museum, es werden sich überall Geschichtszeugnisse finden, deren kulturelle Relevanz auf kleinen oder auch größeren Karten erklärt wird. Was auf diesen Karten meist nicht steht, und was Kurator Dan Hicks mit The Brutish Museums beleuchten möchte, ist die Tatsache der gewaltsamen Aneignung, das Blutvergießen, das mit allzu vielen dieser Objekten in Verbindung gebracht werden muss; ist das grausame Zusammenwirken von Kapitalismus und Kolonialismus. Hicks verwendet die Benin-Bronzen als Grundlage für seine Ausführungen, die einen wichtigen Beitrag zur Restitutionsdebatte in Museen liefern. Ein empfehlenswertes Buch. PM

Dan Hicks: The Brutish Museums. The Benin Bronzes, Colonial Violence and Cultural Restitution. Pluto Press, London 2021; 336 Seiten

Inhabiting the Negative Space

In ihrer Rede für die Graduierten der Harvard School of Design 2020 fordert Jenny Odell die Designer:innen von morgen auf, ausgetretene Pfade zu verlassen. Die Quintessenz dabei sei Zeit, die es brauche, um die Welt und den Ort, an dem man sich befinde wahrzunehmen – um Perspektivwechsel zu ermöglichen. Gerade heute sei das nichts, was einem geschenkt werde. Es sei aber etwas, was man sich nehmen könne und auch sollte, um sich die Frage zu stellen, wofür die aufmerksamkeitsleitende Wirkkraft des Designs eingesetzt werden sollte. Eine schöne Aufforderung – nicht nur für zukünftige Designer:innen. DS

Jenny Odell: Inhabiting the Negative Space. Sternberg Press/Harvard University Graduate School of Design, London 2021; 80 Seiten

Post Growth

Zehn Jahre nach dem Erscheinen von Wirtschaft ohne Wachstum veröffentlicht Tim Jackson ein neues Buch. Darin entwirft der Ökonom die Vision einer Gesellschaft, die jenseits von Wettbewerb und kapitalistischem Wachstumsstreben ein besseres Leben ermöglicht und gleichzeitig die planetaren Grenzen berücksichtigt. Wer Analysen ökonomischer Zusammenhänge und konkrete Politikempfehlungen erwartet, wird allerdings enttäuscht. Stattdessen beschreibt der Autor die Vorzüge einer Postwachstumsgesellschaft auf fast poetische Weise, was dieses Buch zu einem besonderen Lesegenuss macht. SG

Tim Jackson: Post Growth. Lifer after Capitalism. Polity Press, Cambridge 2021; 256 Seiten