Günther Bachmann

Die Stunde der Politik

Online Special
Die Stunde der Politik

Das Buch stammt von einem Profi der Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland: Bachmann war acht Jahre lang im deutschen Umweltbundesamt als Leiter des Fachbereichs Bodenschutz tätig und in dieser Funktion maßgeblich beteiligt an der Verabschiedung des Bundes-Bodenschutzgesetzes. Ab seiner Gründung unter Bundeskanzler Schröder 2001 war er in leitender Funktion für den „Rat für Nachhaltige Entwicklung“, einem Beratungsgremium für die deutsche Regierung, tätig, 2007-2020 als dessen Generalsekretär. Der Rat ist u. a. für die nationale Umsetzung der Sustainable Development Goals der UNO verantwortlich. Seit 2020 führt er zusammen mit Harald Welzer und Stephan Engel das „Büro für Transformation“ in Hamburg. Seine langjährigen Erfahrungen im Betriebsraum der deutschen Nachhaltigkeitspolitik prägen das Buch: Er weiß, wie Politik gemacht wird. Er wendet sich gegen das Vorurteil, dass „die Politik“ ohnehin nichts ausrichten könne und inkompetent sei. Er kennt die konkreten Grenzen, an die Nachhaltigkeitspolitik stößt. Und er nimmt eine kritische Distanz ein zum Milieu des Expertendiskurses, der oft abgeschlossen agiert und dessen Insidersprache oft schwer zugänglich ist. Bachmann schreibt aus der Kenntnis der Binnenverhältnisse zwischen Macht, Politik und Nachhaltigkeit – und wendet sich von daher gegen eine Schwarz-Weiß-Beurteilung der Politik und ihrer Möglichkeiten.

Zehn Kapitel zu unterschiedlichen Themen

Der Essay umfasst zehn Kapitel zu unterschiedlichen Themen, u. a. zur Macht der Idee von „Nachhaltigkeit“ (Kap.1), zu Carlowitz als Vater des Begriff Nachhaltigkeit (Kap. 5), zur „Fridays for Future“-Bewegung als „neue Fahne der politischen Vernunft“ (Kap.7) oder zum „Nachhaltigkeitsprojekt Energiewende“ (Kap. 8). Bei allen Themen bestechen die fundierte Sachkenntnis, die spannenden Einblicke in den Alltag und die Mechanismen von Nachhaltigkeitspolitik auf nationaler und internationaler Ebene – und der brillante Stil des Autors. Die grundlegend nüchtern-optimistische Haltung des Textes kommt in kurzen Sentenzen zum Ausdruck wie: „Die Erfahrung lehrt, das Anfangen Mut macht.“ (S. 16) Diese Haltung ist wohltuend angesichts eines Untergangs- und Katastrophendiskurses, der lähmt und genauso kontraproduktiv ist wie das Leugnen der Krisen.

Die professionelle Perspektive und das Insiderwissen von Bachmann wird beispielsweise im Kapitel 4 „Den Utopieverlust der Moderne wettmachen“ fruchtbar, in dem er die Entwicklung der internationalen Nachhaltigkeitspolitik nachzeichnet, vom Brundtland-Bericht 1987 über den „Erdgipfel“ der UNO in Rio 1992 bis zu den neuen nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs). Faszinierend und erhellend ist seine Beschreibung der Entstehung der SDGs und der Agenda 2030: Er erzählt von der entscheidenden Rolle der kolumbianischen Diplomatin Paula Caballero, die sich mit der Idee globaler Nachhaltigkeitsziele gegen Bremser und Zögerer innerhalb der UNO-Diplomatie durchsetzte. Diese Geschichte, die kaum bekannt ist, ermutigt, weil sie zeigt, dass es nicht nur auf die institutionellen Strukturen, sondern auch auf den Mut und die Beharrlichkeit auch nur einer Person innerhalb dieser Strukturen ankommt. Darin besteht der größte Vorzug des Buches: dass es Bachmann gelingt, den oft abstrakten Nachhaltigkeitsdiskurs und die weit entfernte Nachhaltigkeitspolitik herunterzubrechen und in fesselnde Geschichten zu übersetzen.

Aktuelle Herausforderungen von Nachhaltigkeitsprojekten

Im abschließenden Kapitel geht Bachmann auf die aktuellen Herausforderungen von Nachhaltigkeitsprojekten in Reaktion auf die Corona-Krise ein, ebenso auf die möglichen Veränderungen, die von der Krise ausgehen können. Er bringt das große, vielzitierte Wort von der „Großen Transformation“ buchstäblich auf den Boden, indem er dafür das Bild verwendet: Wir alle „stolpern“ ins Neue (Kap. 10). „In dem Wort steckt eine tiefe Beobachtung. Schließlich war noch keiner in der Zukunft.“ (S. 206) Das Bild hat etwas Ermutigendes: Die „großen Worte“ sollen uns nicht einschüchtern. Das Unvollkommene soll uns nicht abhalten, anzufangen und uns in Richtung des Neuen, Unbekannten zu bewegen – wenn auch stolpernd. Diese pragmatische Perspektive durchzieht das Buch: „Das Vollkommene muss man als Ideal denken, aber darf ihm nicht nachhängen, um frei genug zu sein, das Nächstbessere real zu tun, selbst auf anscheinenden Umwegen.“ (S. 14)

Wertvoll ist die Zeittabelle am Schluss des Buches, die eine gute Orientierung und Überblick über die wichtigsten Stationen der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik in den letzten 60 Jahre bietet.