Mariana Mazzucato

Mission

Ausgabe: 2021 | 4
Mission

Mariana Mazzucatos Mission kommt einer Moonshot Utopie gleich: Die Mondreise war einst ein beinah undenkbares Noch-Nicht. Ähnliches beabsichtigt die Ökonomin, indem sie den Staat als Triebfeder des Wandels vorstellt: „Was ich sagen will, ist, dass missionsorientiertes Denken revolutionär ist, weil es des Überdenkens der Rolle des Staats in der Wirtschaft bedarf, weil es den Zweck und die Lösungen von Problemen obenan stellt, die für den Bürger zählen.“ (S. 157) Dabei ist sie sich des Status quo bewusst: „Der landläufigen Meinung nach ist der Staat eine klobige bürokratische Maschine, die zur Innovation schlicht nicht fähig ist.“ (S. 25)

Dieser Vorannahme setzt Mazzucato das Denken in Missionen entgegen, um den Kapitalismus neu zu strukturieren. Missionen basieren auf symbiotischen Kooperationen von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dafür muss jedoch die sich selbst erfüllende Prophezeiung des trägen oder gar fehlenden Staates überdacht werden: „Wir bekommen die Art staatlicher Einrichtungen, die wir für möglich halten.“ (S. 87) Mit Greta Thunberg: „Wir müssen alle das scheinbar Unmögliche tun.“ (S. 201) Entsprechend wählt Mazzucato die Mission der Mondlandung als roten Faden, welchen sie mit real-utopischen Beispielen aus der eigenen Praxis ergänzt.

Die Frage nach Macht und Wirkung

Der kritisch zukunftsforschende Rezensent begrüßt diesen Willen zur Utopie mit zwei Fragen. Erstens: Ist der Faktor Macht in dem Ansatz ausreichend reflektiert? Und zweitens: Gelingt eine narrative Rekonstruktion dahingehend, dass von der vorgelegten Utopie eine handlungsleitende Sogwirkung ausgehen kann?

Der Faktor Macht lässt sich tendenziell als unterrepräsentiert beschreiben. Gerade der Begriff der „Moonshot Utopie“, der auch für den englischen Originaltitel verwendet wird, mutet elitär an, da entsprechende Programme oft von Führungseliten veranlasst wurden. Die historisch gescheiterten Moonshots wie das britisch-kolonialistische „Groundnut Scheme“ werden nicht erwähnt. Auch aktuell nutzen diverse Silicon Valley-Konzerne den Begriff, um Zukunft im Sinne weniger zu kolonialisieren. Mazzucato betont für das von ihr postulierte Denken in Missionen durchaus die Notwendigkeit einer Korrektur der grundlegenden Machtstrukturen. Sie sollen Gerechtigkeit, Fairness und Nachhaltigkeit für die Beteiligten, im Sinne eines Stakeholder-Ansatzes, gewährleisten. Durch neue, dezentrale Formen der Partizipation könnten Beteiligte in den Wertschöpfungsprozess eingebunden werden. Beispielhaft nennt sie Bürger:innenversammlungen als geeignetes Instrument.

Narrativ konstruiert Mazzucato die Vorstellung eines Staates, der durch missionsorientiertes Denken nicht mehr nur reaktiv Märkte repariert, sondern proaktiv gestaltet: „Wir können mit der Erkenntnis beginnen, dass kapitalistische Märkte ein Ergebnis zum einen der Art und Weise sind, in der jeder Akteur des Systems organisiert ist, wie es um seine Governance bestellt ist, zum anderen der Beziehungen, in der die verschiedenen Akteure zueinander stehen.“ (S. 251) Dabei wechselt sie fließend zwischen den Ebenen der Meta-Erzählung, den komplexen Zusammenhängen der Welt, systemimmanenter Empirie und dem, was im Volksmund als allgemein wahr über den Staat gedacht wird.

Aktuelle Beispiele sorgen für Griffigkeit: Während Elon Musk heute zu den weltweit reichsten Personen zählt, ist die staatliche Anschubfinanzierung, die sein Tesla-Projekt erst ermöglichte, kaum bekannt. Der Staat sei schon jetzt oftmals eher Investor erster Instanz als Kreditgeber in der Not, so die Autorin. Bezüglich Covid-19 zeichnet Mazzucato nach, wie der US-amerikanische Staat aus Angst vor einer neuen, großen Depression und zur Stabilisierung der Wirtschaft aus dem Nichts Geld schöpfte. Damit wurden jedoch nicht, einer größeren Vision folgend, missionsorientierte Projekte gefördert, sondern vielfach überholte Märkte subventioniert. Entsprechend fordert die Volkswirtin, dass Vision und Freigabe der Mittel Hand in Hand gehen müssten (S. 231).

Mazzucato verschiebt den Diskurs von der Überlegung „zu viel oder zu wenig Staat?“ zur Frage „Was tut er und wie?“  (S. 44) Als aktiver Gestalter der Märkte würde der Staat Fantasie, Handlungskompetenz und die entsprechenden Mitarbeiter:innen benötigen. Auf dieser Basis entstünden Märkte, in denen der private Sektor im Interesse der Öffentlichkeit arbeitet und danach bewertet würde. Steuern sind dann ein Instrument, um Wertschöpfer:innen statt Wertabschöpfer:innen zu belohnen. Auf systemischer Ebene zögen eine Akzeptanz und Belohnung von Risiko und Scheitern ein, weil sie im Rahmen gemeinsamer Missionen unabdingbar sind.

Ein hoffnungsvoller Blick

Einer solchen Utopie lässt sich immer Unvollständigkeit vorhalten. Wer soll jetzt wie handeln und wie werden die Entscheider:innen dazu gebracht in Missionen zu denken? Die Leistung des Texts liegt darin, einen hoffnungsvolleren Blick auf die Möglichkeit eines funktionierenden Staates zu präsentieren. Das kann ein entscheidender Beitrag sein, um zukünftige Handlung an dieser Utopie auszurichten.