Ute Scheub, Christian Küttner

Abschied vom Größenwahn

Ausgabe: 2021 | 1
Abschied vom Größenwahn

Ute Scheub und Christian Küttner behandeln fünf Lebens- bzw. Wirtschaftsbereiche: Ernährung und Landwirtschaft, lebensfreundliche Städte und Stadtplanung, gemeinwohlorientierte Unternehmen und partizipative Unternehmensführung, fürsorgliche und kommunale Gesundheitswesen, eine erneuerte Demokratie von der lokalen bis zur globalen Ebene.

Die Ausgangsthese bzw. Prognose des Buchs lautet in Anlehnung an Leopold Kohr und Ernst Friedrich Schuhmacher: Alle Großstrukturen erweisen sich als zerstörerisch,  sie sind nicht krisenfest und werden zusammenbrechen. „Wir sind überzeugt davon, dass die Menschheit eine Wirtschaft und Landwirtschaft ohne Abfall und Ausbeutung entwickeln kann“, schreiben die beiden. Diese neue Ökonomie werde „zusammen mit neuen regionalen Demokratien dafür sorgen, dass es ökosozial und gerecht für alle zugeht.“ (S. 13) Mensch und Natur seien durch jahrhundertelange Ausbeutung inzwischen so schwer beschädigt, dass es nicht mehr ausreiche, „nachhaltig“ weitere Schäden zu verhindern. Vielmehr gehe es um das „Heilen von Wunden“ (S. 13), um Regeneration statt Degeneration. Der Begriff der Umwelt wird  durch jenen der Mitwelt ersetzt, weil diese aus Lebewesen mit eigenen Rechten und eigener Würde bestehe. Statt Globalisierung gehe es um „Planetarisierung“ (S. 12) bzw. planetenfreundliche Wirtschafts- und Lebensweisen.

Inspirierende Neuansätze und Projekte

Fakten über die zerstörerische Wirkung des gegenwärtigen Konsumkapitalismus werden präsentiert, vor allem aber auch  Geschichten über Neuansätze und Projekte, in denen Menschen, Kommunen oder Unternehmen einen menschen- und naturfreundlichen Weg eingeschlagen haben. Das Zeitalter des Zentralismus, der Großindustrie und Großorganisationen gehe zu Ende, argumentieren Scheub und Küttner. Nicht nur, weil es uns höchst krisenanfällig mache, die Klimakatastrophe einen ökosozialen Totalumbau erfordere und unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten unmöglich sei. Sondern weil uns mit Bionik, dezentralen Internetanwendungen und erneuerbaren Energien Techniken zur Verfügung stehen, die eine Ausrichtung unseres Wirtschaftens nach den Selbstorganisationsprinzipen der Ökosysteme umsetzbar machen. Dieser „kosmopolitische Lokalismus“ (S. 17) werde zu Widerstandsfähigkeit und Resilienz führen, was angesichts der sich verschärfenden Krisen notwendig sei.

Ein „artenreiches“ resilientes wirtschaftliches Ökosystem bestünde vor allem aus kleinen und mittleren Unternehmen, Genossenschaften sowie öffentlichen und kommunalen Betrieben der Daseinsvorsorge. Kleinere Länder, die Alltagsgüter wie Essen, Kleidung, Energie und Gebrauchsgegenstände selbst erzeugen, seien eben krisenfester (vgl. S. 19).

Hoffnung auf einen Paradigmenwechsel

Woraus schöpfen die beiden nun ihre Hoffnung auf diesen Paradigmenwechsel? Zum einen würden die Folgekosten der Umweltzerstörung immer offensichtlicher. Zum anderen würden menschengemachte Organisationen ab einer bestimmten Größe zu komplex und damit ineffizient; die Kreativität und die Fähigkeiten der Belegschaften lägen brach. „Selbstgeführte Betriebe“ (S. 162) würden in Zukunft erfolgreicher sein. Neben den an vielen Orten entstehenden Neuansätzen hoffen Scheub und Küttner auch auf eine partizipative Demokratie.  Dabei sollen insbesondere die lokale Ebene und das Prinzip der Subsidiarität gestärkt werden. Ein im Buch zitierter Index „Lokale Autonomie“ (S. 229) zeige, dass föderale Strukturen effektiver seien und die Lebensqualität steigern. Dies bestätige auf Länderebene auch der „Weltglücksreport der UNO“ (S. 227), der jährlich ein Ranking der Gesellschaften mit der höchsten Lebenszufriedenheit veröffentlicht. Menschen würden sich viel stärker mit ihrem Stadtteil identifizieren als etwa mit der Nation, die lokale Ebene sei für Politik, Verwaltung und vor Ort verankerte Betriebe zentral, funktionierende Nachbarschaften würden sogar lebensverlängernd wirken, so ein Befund (vgl. S. 239). Mehr Finanzhoheit für die Kommunen würde die Selbstbestimmung stärken – laut einer Erhebung verfügen in Dänemark die Kommunen über 64 Prozent der Staatsausgaben, in der Schweiz über 56 Prozent, in Schweden über 48 Prozent; in Deutschland seien es aber nur 16 Prozent (vgl. S. 241). Insgesamt sprechen Scheub und Küttner von verschiedenen „Gemeinschaftshüllen“ im Sinne konzentrischer Kreise, von der Familie und den persönlichen sozialen Beziehungen über Stadtteile und Kommunen bis hin zu Regionen, Staatenbünden, „ethischen Wirtschaftszonen“ (Christian Felber) und reformierten und demokratisierten Vereinten Nationen.In Summe: Ein äußerst inspirierendes Buch mit vielen Vorschlägen und Beispielen, von einer kleinteiligen, die Natur regenerierenden Landwirtschaft über dezentrale Energieversorgungsstrukturen und partizipative Unternehmen bis hin zu neugestalteten Städten und Gemeinschaften.