Jens Beckert

Verkaufte Zukunft

Ausgabe: 2025 | 1
Verkaufte Zukunft

Die Klimapolitik kommt nicht wirklich in die Gänge. Der UN-Klimarat sowie die UN-Umweltbehörde warnen vor der Lücke zwischen dem, was notwendig wäre und dem, was von den Regierungen an Maßnahmen umgesetzt bzw. in Aussicht gestellt wird. Gründe für die Schwierigkeiten wirksamer Klimapolitik gibt es zuhauf. Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und Professor für Soziologie in Köln, sieht diese in der Funktionsweise der „kapitalistischen Moderne“. Legitimation sei eine notwendige Ressource von Herrschaftsausübung, auf deren Entzug vor allem der Staat, aber auch Unternehmen reagieren müssen, Klimabewegungen seien daher nicht machtlos, so der Soziologe. „Doch die sozialen Bewegungen stoßen auf den Widerstand der an Gewinnmaximierung interessierten Unternehmen, die Zögerlichkeit des auf wirtschaftliche Prosperität angewiesenen Staates und auch auf den Gegendruck von Bürginnen und Bürgern, die um ihre Arbeitsplätze und gewohnten Konsum- und Lebenspraktiken bangen“ (S. 39).

Anhand von zahlreichen Beispielen belegt Beckert, dass die Klimapolitik den Erfordernissen weit hinterherhinkt. Da sind die Interessen der Fossilwirtschaft und ihrer nachgelagerten Sektoren, die keinesfalls auf ihre Profite verzichten wollen. Fast vier Prozent der weltweiten Wertschöpfung fallen noch immer auf die Öl- und Gasindustrie. Fossile Energieträger seien sprudelnde Geldquellen für Unternehmen, Topmanager, Investoren und Staaten: „Man muss kein Hellseher sein, um zu vermuten, dass diese Profite nicht einfach aufgegeben werden, nur weil sich die globale Durchschnittstemperatur ein bisschen erhöht“ (S. 49). Die potenziell verloren gehenden Vermögenswerte aus dem Anlagevermögen der fossilen Energiewirtschaft werden bei einer wirksamen Klimapolitik auf 13 bis 17 Billionen US-Dollar bis 2050 geschätzt, „ein bedeutender Teil davon ist staatliches Eigentum“ (S. 51). Als Täuschungsmanöver würden die Marketingabteilungen der Konzerne großspurige Veränderungsziele propagieren, die jedoch in ferner Zukunft lägen. Die „Politik der Erwartungen“ ermögliche die kurzfristige Entlastung von Handlungsdruck, „weil die Überprüfung der Erfüllung des Ziels ja erst 20 oder 30 Jahre später stattfinden kann“ (S. 59) – dies gelte auch für Staaten.

Neoliberales Denken und fossile Pfadabhängigkeiten

Solange mit der Förderung fossiler Energien und Verbrennungsmotoren Gewinne erwirtschaftet werden, setzen die Unternehmen alles daran, diese Gewinnen zu verbuchen, so Beckert, der auch auf die Verquickung des Fossil- und Automobilsektors verweist – der Staatsfonds von Kuwait sei etwa der drittgrößte Einzelaktionär von Mercedes Benz; Saudi Aramco sei 2023 in ein Gemeinschaftsunternehmen von Renault und dem chinesischen Autohersteller Greely eingestiegen, das neue Verbrennungsmotoren entwickelt (S. 63 f.). Das marktliberale Denken sei eben von Eigennutz geprägt und schere sich nicht wirklich um die Umwelt. Es fehle „im wirtschaftlichen Handeln jegliche Anleitung durch eine kollektive Rationalität, die dem individuellen Vorteilsstreben Grenzen setzen würde“ (S. 45). Widerstand gäbe es aber auch seitens der Bürger:innen. Konsumauswahl sei zum „Reich der Freiheit“ stilisiert worden in einer für die meisten Menschen ansonsten durch erhebliche Zwänge bestimmten Lebensführung: „Wer hier regulatorisch eingreifen will, muss mit Gegenwehr rechnen“ (S. 43). Dazu komme die Verdrängung späterer Kosten, die die Klimakrise verursachen werde. Der Politik fehle die Durchsetzungsfähigkeit, die erforderlichen Reformen anzugehen. Pläne würden auf die lange Bank geschoben, abgeschwächt oder abgeblasen. Denn wenn es konkret wird, gäbe es auch Widerstand aus der Bevölkerung, etwa wenn Windräder in der eigenen Region blockiert werden. Beckert pointiert: „Sich im Allgemeinen für Klimaschutz auszusprechen, ist die eine Sache. Eine andere ist es, diesen in seinen konkreten, individuellen Konsequenzen politisch zu unterstützen“ (S. 79).

Was kann getan werden?

Beckert erteilt der „Systemwechsel-Forderung“ (S. 181) eine Absage, weil sie kein politikfähiges Programm darstelle, wir gar nicht die Zeit hätten, eine grundlegende Gesellschaftstransformation anzustoßen; obendrein sei nicht gesagt, ob diese überhaupt sinnvoll sei, weil sie zu großen Instabilitäten führen könnte. Notwendig sei vielmehr, „realistische Ansatzpunkte“ für die Klimapolitik zu benennen, im Wissen, dass diese nicht genügen werden und „von weiterer Klimaerwärmung ausgegangen werden“ müsse (S. 182). Die Temperaturen würden also weiter steigen, die sozialen und politischen Auseinandersetzungen sich damit verschärfen. Anpassungsfähigkeit, Resilienz und vor allem solidarisches Handeln seien gefragt. Daraus ergäben sich Aufgaben für eine „realistische Klimapolitik“ (S. 187). Es gehe darum, eine Perspektive zu entwickeln, „deren Umsetzung politisch machbar ist und dabei helfen würde, Zeit zu gewinnen, damit sich Gesellschaften besser auf den Klimawandel einstellen können“ (S. 183). Abgefedert werden müssten auch die aufgrund der zunehmenden Klimakosten entstehenden Konflikte. Eine „realistische Klimapolitik“ würde die Rahmenbedingungen für Unternehmen so setzen, dass sie weiterhin Gewinne machen – aber ohne Schaden anzurichten. Die Bevölkerung könne mit konkreten Maßnahmen zum Hochwasserschutz oder Klimaanlagen in Schulen sensibilisiert werden, um so auch Akzeptanz für Einschränkungen zu gewinnen. Kollektive Infrastrukturen der Daseinsvorsorge würden helfen, Krisen leichter zu bewältigen.

Einschätzung: Der „nachdenkliche Realismus“ (S. 177) des Autors hilft, der Falle eines naiven Optimismus zu entgehen. Deutlich wird, dass Widerstände gegen eine wirksame Klimapolitik von Unternehmen, Politik und Bürger: innen zu erwarten und zu reflektieren sind. Falsch liegt Beckert meines Erachtens aber, wenn er die Postwachstumsbewegung mit einem Systemsturz gleichsetzt. Denn in dieser gibt es zahlreiche Ansätze, mit Reformen eine Transformation herbeizuführen – sie reichen von einer geänderten Finanzierung öffentlicher Aufgaben, etwa durch höhere Vermögenssteuern, über neue Arbeitszeitmodelle bis hin zur Umlenkung von Investitionen und Kaufkraft. Auch die Anziehungskraft neuer Wohlstandsbilder kann Transformationen ermöglichen bzw. beschleunigen.