Die Studie 'Zukunftsfähiges Deutschland' (vgl. dazu PZ 1/96*1) versteht sich als Plädoyer für einen ökosozialen Wandel der Industriegesellschaft und hat deshalb versucht, die Möglichkeiten einer nachhaltigen Entwicklung aufzeigen. Nicht zuletzt deshalb hat sie breite öffentliche Aufmerksamkeit im Sinne von viel Zustimmung, aber auch viel Kritik hervorgerufen. Ein Mitautor der Studie, Manfred Linz, versucht nun die Grundformen und wiederkehrenden Argumentationen der vorgebrachten Kritik darzulegen.
Zunächst aber leistet er sich eine kurze Replik auf die breite positive Resonanz, die v. a. zwei Formulierungen in Erinnerung bringt: Zum einen ist es das Urteil des "Spiegel", für den die Studie gute Chancen hat, "zur grünen Bibel der Jahrtausendwende zu werden", zum anderen ist es die der Studie mitgegebene Forderung, daß Visionen Fahrpläne brauchen.
Hauptkritikpunkte an der Studie sind - bei grundsätzlichem Einverständnis von Sustainable Development als Leitbild auf dem Weg in das 21. Jahrhundert -, daß sie von einer zu pessimistischen Sicht der Zukunft ausgeht. Darüber hinaus zeichne sie der "Mangel an gesellschaftstheoretischer Fundierung, an Analyse der sozialen Situation und der Funktionsbedingungen der Wirtschaft" (S. 27) aus. Nicht ganz überraschend kommt viel Ablehnung von Seiten der Wirtschaft. So ist für Gerhard Voss vom Institut der Deutschen Wirtschaft mit der vorgeschlagenen Umsetzung des Prinzips der Nachhaltigkeit der Weg in die ökologische Planwirtschaft (Ökodiktatur) vorgezeichnet. Der Gewerkschaftler Jürgen Walter von der IG Chemie-Papier-Keramik sieht die Studie von einem grünen Dogmatismus geleitet und hält Ökosysteme grundsätzlich nicht für einen statischen Rahmen, der Belastbarkeitsgrenzen setzt. Auch die Wirtschaftswissenschaftler Hans-Jürgen Ewers und Christoph Hassel halten nichts von der "postmodernen Renaissance autoritär dirigistischer Ideen". Für sie muß Sustainable Development ein Gestaltungsmuster für die Zukunft sein, das für liberale Grundsätze offen ist und einer Strategie der bedingten Freiheitsmaximierung folgt.
Am konsequentesten vertritt Joseph Huber, Professor für Wirtschafts- und Umweltsoziologie (Halle/Saale), die Option auf technologische Erneuerung der Gesellschaft. Keinesfalls reichen für Huber Genügsamkeit und Verzicht aus, wenn eine Erdbevölkerung von 5 bis 10 Mia. Menschen die herkömmlichen industriellen Mittel nutzt. Er schlägt demgegenüber neue Pfade der Technik- und Produktentwicklung (Konsistenzstrategie) vor, die Brennstoffe auf elektrochemischem Wege nutzt und schließlich von der Solarenergie abgelöst wird. Weitere Kritikpunkte, auf die der Autor eingeht, beschäftigen sich mit diversen Harmoniewünschen und der Hoffnung auf einen leichten Übergang, mit feministischer Kritik oder dem Vorwurf der Orientierung an den sozialen Mittelschichten.
Insgesamt sieht der Autor in der Kontroverse um ein "Zukunftsfähiges Deutschland" ein "Lehrstück für den Umgang mit Lebensfragen unserer Gesellschaft". Einen lohnenden Anstoß zur Fortführung des konstruktiven Dialogs für ein ”Zukunftsfähiges Deutschland" hat Manfred Linz allemal gegeben.
A. A.
Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit, Deutschland
Linz, Manfred: Spannungsbogen.”Zukunftsfähiges Deutschland" in der Kritik. Berlin (u.a.): Birkhäuser. 1998. 76 S. (Wuppertal Texte) DM 19,80/ sFr 16,- / öS 145,-