Zur Lage der Welt 1998 - Daten fürs Überleben des Planeten

Ausgabe: 1998 | 2

Experten des Internationalen Währungsfonds erwarten für 1998 ein Wirtschaftswachstum von weltweit 4,4% - mehr als die Zunahme im Verlauf des 17.Jahrhunderts insgesamt! Dies ist alles andere als ein Grund zur Freude, "denn" - so lassen sich die jüngsten, in acht Kapiteln dargestellten alarmierenden Befunde des Worldwatch Institute zusammenfassen - "wir verhalten uns, als ob wir keine Kinder hätten, als ob es keine nächste Generation gäbe". (S. 39) Einige Beispiele aus dem ersten Kapitel. das "die Zukunft des Wachstums" kritisch in den Blick nimmt: Von 1950-1997 ist das Gesamtvolumen der Wirtschaft von 5 Bio. auf 29 Bio. US $ angewachsen und die Lebenserwartung von durchschnittlich 47 auf 64 Jahre gestiegen.

Die Kehrseite der Medaille: Jährlich verschwinden 16 Mio. ha Wald (d.i. die doppelte Fläche Nigerias), u.a. weil sich der Bedarf an Bauholz in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verdreifacht hat und der Papierverbrauch um das Sechsfache gestiegen ist.: Die Mitarbeiter des in Washington ansässigen Instituts beschränken sich jedoch keineswegs darauf, Fakten des fortschreitenden - und folgt nicht bald eine einschneidende Kurskorrektur, auch unabwendbaren Niedergangs des Planeten aufzulisten, sondern benennen immer wieder Möglichkeiten und konkrete Beispiele der Therapie: So verweist etwa J. Abramowitz darauf, daß in der holzverarbeitenden Industrie in Brasilien nur ein Drittel der Biomasse verarbeitet wird (S. 71). und erörtert in diesem Zusammenhang auch das Für und Wider der derzeit diskutierten "Internationalen Waldkonvention", Unter dem Titel "Lose Fäden im Netz des Lebens" wird dem Niedergang der Arten nachgegangen - 25% der Säugetiere und 68% der Fischarten sind vom Aussterben bedroht -, und ein Bremsen dieser Entwicklung als biologische und kulturelle Aufgabe eingemahnt.

Dem Recycling organischer Abfälle ist der Beitrag von G. Gardner gewidmet. Er macht u.a. deutlich, daß weltweit 2,5 Mia. Menschen (insbesondere in den Städten) in einseitigen Stoffströmen leben. Weitere Kennziffern: der Verbrauch synthetischer Düngemittel ist seit 1950 um das 9fache angestiegen, und obgleich 36% des Müllvolumens in den OECD-Staaten organischen Ursprungs ist, werden bislang erst 11% wiederverwertet. Anhand zukunftsweisender Projekte in Mexiko (profitable Kleinbiokläranlagen) und Kalifornien (Verbraucherinitiativen erreichen eine Senkung des Volumens um 18 und der Kosten um 60%) wird gezeigt, welch weitreichende Veränderungspotentiale schon heute vorhanden sind. 

Wenig Positives lassen die bislang viel zu zögerlichen und vagen Reaktionen auf die globale Klimaveränderung erwarten. So ist mit einer weiteren Verdoppelung des Autobestandes bereits innerhalb der nächsten 25 Jahre zu rechnen, und da Technologien für erneuerbare Energien erst ab etwa 2020 voll konkurrenzfähig sein dürften, wird ein Anstieg des CO2-Anteils um 40% bis 2010 (auf der Basis von 1990) in Aussicht gestellt. Der rapide wachsenden Verbreitung von Kleinwaffen - u.a. verkaufen Soldaten der russischen Armee ihre Bestände an Tschetschenen, um ”Ihr täglich Brot' zu erhalten, und erreichen etwa in den USA private Sicherheitsdienste beinahe die Mannschaftsstärke der Streitkräfte - und der Veränderung der Kapitalströme in die Länder der Dritten Welt gelten weitere Ausführungen: Zwar hat die staatliche Entwicklungshilfe seit der Rio-Konferenz (1992) um rund 1/4 abgenommen, doch sind die Zuwendungen von "privater Seite" drastisch angestiegen (vgl. Grafik). In der Bildung neuer Allianzen zwischen NGOs und Unternehmen mit dem Ziel des Ausbaus von "Alternativtechnologien" - schon heute ist Indien neben der BRD der zweitgrößte Hersteller von Windenergieanlagen - werden große Chancen in Richtung Zukunftstauglichkeit ausgemacht. 

Nichts weniger - so Lester Brown im abschließenden Beitrag - als ein radikal anderes Wirtschaftssystem ist vonnöten, um den Herausforderungen an der Schwelle zum 21.Jahrhundert angemessen zu begegnen. Denn die Frage, ob sich die Weltbevölkerung bei 8 oder erst 11 Mia. Menschen stabilisiert, wird heute entschieden. Daß sich das herkömmliche Wachstumsmodell in vieler Hinsicht schon jetzt ad absurdum führt, verdeutlicht (nicht nur) die Tatsache, daß man im täglichen Stau der britischen Hauptstadt bestenfalls im Tempo von Pferdekutschen vorankommt und daß die Arbeitnehmer Bangkoks im Jahresdurchschnitt 44 Tage im Stau verbringen (S.256), Eine der Ressourcen, die heute am schmerzlichsten vermißt wird, ist, so Lester Brown zusammenfassend, ist "politische Führerschaft", um einer unserer "besten Begabungen" - dem Hinauszögern überfälliger Entscheidungen - entgegenzuwirken. W Sp. 

Ein weiterer, diesem Bericht hinsichtlich Faktenvielfalt und interdisziplinärer Gründlichkeit gleichwertig an die Seite zu stellender Band sei gleichfalls (aufgrund der ausgezeichneten Grafiken besonders für die Verwendung an Schulen und Universitäten) empfohlen, und zwar: Globale Trends. Fakten - Analysen - Prognosen. Hrsg. v.d. Stiftung Entwicklung und Frieden. Frankfurt/M.: Fischer. 1997. 474 S. (FrB; 13800) DM 24,90/ sFr / os 182

Zur Lage der Welt 1998. Daten für das Überleben unseres Planeten. Hrsg. v. Worldwatch Institute. Frankfurt/M.: Fischer: 1998. 319 S. (FTB; 13803) DM 24,90/ sFr / öS 182,-