Schuldenkrise oder Guthabenkrise?

Ausgabe: 2012 | 2

Die nicht gedeckten Geldansprüche im internationalen Finanzsystem entsprechen mittlerweile dem 50-fachen der Zentralbankengeldmenge weltweit. Gesprochen wird von „Schwellgeld“, das durch Kreditausweitung entsteht (Dirk Sollte s. PZ 2010/1). Das heißt, das Wachstum wird weitgehend auf Pump finanziert. Der Ökonom Erich Kitzmüller spricht folgerichtig nicht von einer „Schuldenkrise“, sondern von einer „Guthabenkrise.“

 

Im Folgenden werden in diesem Sinne weitere Bücher zur Finanzkrise mit unterschiedlichen Akzentuierungen vorgestellt. Mehrheitlicher Tenor: Die Politik habe zwar rasch reagiert, als es galt, den drohenden Zusammenbruch von Banken abzuwenden und mittels Konjunkturpaketen sowie Kurzarbeitszeitregelungen kurzfristig den drohenden Wirtschaftskollaps abzuwenden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, etwa schärferen Eigenkapitalvorschriften für Banken, wurden jedoch keine Maßnahmen zur wirksamen Eindämmung von Spekulationsgeschäften sowie einer dauerhaften Stabilisierung der Finanzmärkte um- bzw. durchgesetzt.

 

Der Publizist Wolfgang Kessler sieht die Anfänge der Finanzkrise in die beginnende Liberalisierung der Finanzmärkte in den 1970er-Jahren zurückreichen. Die Aufhebung der Bindung des Dollars an den Goldstandard durch die USA, um den Vietnamkrieg finanzieren zu können, die Aufkündigung fester Wechselkurse sowie schließlich der Missbrauch vorerst sinnvoller Finanzinstrumente wie Futures oder Derivate für Spekulationszwecke (in der Realwirtschaft hatten diese ursprünglich zur Absicherung gegen Risiken, etwa von Exportunternehmen gegenüber Kursschwankungen gedient) nennt er als Meilensteine. Die neuen Informationstechnologien hätten das Spekulationskarussell erst richtig in Schwung gebracht, wodurch sich das Volumen spekulativer Geschäfte sowie deren Geschwindigkeit vervielfacht haben. Kessler spricht von der „Macht der elektronischen Herde“. (S. 19) So betrug 2006 der Umsatz mit Derivaten bereits das 40-fache der Weltwirtschaftsleistung.

 

Über Jahrzehnte sei es das „unumstrittene Ziel von Banken gewesen“, so Kessler, den Zahlungsverkehr zu regeln und von „Sparerinnen und Sparern Geld einzusammeln, um dieses gegen Zinsen an kreative Unternehmen und Privathaushalte weiterzuleiten“. Seit der Liberalisierung der Finanzmärkte in den vergangenen 25 Jahren werde der Kapitalmarkt von einem anderen Ziel beherrscht: „nämlich aus Geld möglichst schnell mehr Geld zu machen, ohne Häuser, Fabriken, Infrastrukturanlagen oder andere Arbeitsplätze zu schaffen.“ (S. 19)

 

„Die Welt wird nie wieder so werden wie vor der Krise“, hatte der deutsche Finanzminister Peter Steinbrück am 25. September 2008 gemeint. Inzwischen ist sie „fast wieder so wie vor der Krise“, meint Kessler (S. 35). Banken wurden gerettet, die Finanzspekulationen gehen munter weiter, es werden auch wieder satte Gewinne gemacht und Boni ausbezahlt. Doch die öffentlichen Haushalte sind stärker verschuldet als je zuvor. Denn, wie Kessler auflistet, ist es keineswegs bei Bürgschaften und Bankgarantien geblieben; Milliardenbeträge mussten von der öffentlichen Hand unwiederbringlich eingesetzt und abgeschrieben werden.

 

Einen weiteren Aspekt, nämlich die kriminellen und halbkriminellen Verflechtungen der Finanzwirtschaft beleuchtet Wolfgang Hetzer, der von „Finanzmafia“ spricht. Als Leiter der EU-Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ in Brüssel, besser bekannt als OLAF, hat der Autor unmittelbaren Einblick in das, worüber er berichtet. Auch Hetzer beschreibt die Zusammenhänge von Hedgefonds und Geldwäsche, neuen Finanzprodukten und neuen Formen der Organisierten Kriminalität, die Problematik der Steuerenklaven, aber auch dubiose Machenschaften mancher Banken einschließlich der Verfilzung mit der Politik, etwa bei der Hypo Group Alpe Adria und der Bayern LB. Als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament hält er auch mit Kritik an den eigenen Reihen nicht hinter dem Berg, etwa wenn er von „rot-grünen Wegbereitern des Shareholder-Kapitalismus“ (S. 77) spricht. Der Autor verfügt über brisantes Insiderwissen, er zeigt die Möglichkeiten und (derzeitigen) Grenzen der Strafverfolgung für Wirtschaftskriminalität im Finanzsektor auf und macht auch Verbesserungsvorschläge.

 

In diesem Zusammenhang sei auch auf die Dokumentation zu einer Ausstellung über Steueroasen und Finanzkriminalität von attac verwiesen, die von Silke Öltsch und Celia di Pauli auf der Basis einer brisanten Fact Finding Mission erstellt wurde. H. H.

 

 

 

Kitzmüller, Erich: Schuldenkrise oder Guthabenkrise? In: Nachrichten und Stellungnahmen der Katholischen Sozialakademie Österreich 2012/1, S. 1-3.

 

Kessler, Wolfgang: Geld regiert die Welt. Wer egiert das Geld? Eine Streitschrift. Oberursel: Publik-Forum-Verl., 2011. 93 S., ISBN 78-3-88095-219-5

 

Hetzer, Wolfgang: Finanzmafia. Wie Banker und Banditen unsere Demokratie gefährden. Frankfurt/M.: Westend, 2011. 336 S., € 19,95 [D], 20,60 [A] 27,90

 

ISBN 978-3-938060-70-4

 

Räume der Offshore-Welt. Steueroasen und Offshore-Zentren in Europa. Hrsg. v. Silke Ötsch …. Attac: Frankfurt, 2009. 149 S., € 9,50 [D], 9,80 [A], sFr 13,90 ISBN 978-3-9813214-0-1 (s. a. www.attac-netzwerk.de [Themen, Steueroasen])