Isabelle Dolezalek, Bénédicte Savoy, Robert Skwirblies (Hg.)

Beute

Ausgabe: 2021 | 4
Beute

Der Themenkomplex Kunstraub und Restitution ist nicht zuletzt wegen der Debatten um Sammlungsbestände problematischer Provenienz im Kontext der Aufarbeitung der NS-Diktatur bzw. des Kolonialismus seit Jahren hochaktuell. Das nun vorgelegte zweibändige Werk Beute geht allerdings über diese – vor allem das 20. Jahrhundert betreffende – Diskussion hinaus und nimmt sich der Materie in einem mehr als 2.000 Jahre umfassenden Längsschnitt an. Das Thema wird allerdings nicht ausschließlich (kunst-)historisch verhandelt, sondern durch  die Expertise von über 80 internationalen Autor:innen (darunter auch 25 Studierende), die die einzelnen Quellentexte diskutieren und kontextualisieren, in einem multiperspektivischen Zugang breit aufbereitet.

Eine empfehlenswerte Anthologie

Band eins, der als Anthologie angelegt ist, besteht im Kern aus rund 60 chronologisch geordneten Quellentexten, beginnend mit einem bereits um 646 v. u. Z. entstandenen Tatenbericht des assyrischen Königs Assurbanipal. Das jüngste in diesem Band behandelte Dokument ist ein Brief der Globalisierungskritikerin Aminata Traoré an den französischen Präsidenten Jaques Chirac aus dem Jahr 2005, der die Côte d‘Ivoire und die Lage Afrikas im Allgemeinen zum Thema hat. Dazwischen kommen unter anderem Marcus Tullius Cicero, Johann Wolfgang von Goethe, Mehmed Ali Pascha und Victor Hugo zu Wort. Spannend ist die gelungene Mischung der Perspektiven der jeweiligen Autor:innen: Sowohl Texte von Raubenden als auch von Beraubten werden diskutiert – die thematische und zeitliche Bandbreite ist also groß, auch wenn ein klarer Schwerpunkt auf das 19. und 20. Jahrhundert gelegt wird.

Im Kern zielt der Band darauf ab, die Agenden und Motive der Verfasser:innen der Quellen offenzulegen und wiederkehrende Argumentationsmuster und Narrative zu beleuchten. Eine bemerkenswerte Erkenntnis dieser umfassenden Untersuchung ist, dass viele der in den Quellen vorgebrachten Argumente über hunderte von Jahren hinweg in ähnlicher Form immer wieder auftauchen; einzelne Dokumente, wie beispielsweise die beiden im Buch behandelten Schreiben Alfred Rosenbergs – einer der Schlüsselfiguren des nationalsozialistischen Kunstraubs – heben sich dennoch von den anderen Quellen ab (in diesem Fall aufgrund der akribischen Dokumentation der Zuständigkeit für die Raubzüge).

Die Autor:innen und die Entstehungsumstände der einzelnen Quellentexte werden in den einzelnen Kapiteln kurz, aber prägnant kontextualisiert, bevor die Quellen von Expert:innen eingehend und aufschlussreich analysiert werden. Die Gewichtung von Quellentext und Analyse ist dabei gut gelungen – die Ausführungen sind schlüssig und pointiert und ufern nicht in Exkursen aus. Der Band ist auch grafisch sehr umsichtig und übersichtlich gestaltet und durch praktische Literatur- und Querverweise sehr leser:innenfreundlich strukturiert. Hervorzuheben sind auch die am Ende jedes Kapitels positionierten Miniaturgrafiken, die die einzelnen Quellentexte mit den Bildquellen im zweiten Band in Bezug setzen.

Ein gelungener Bildband

Dieser zweite Band, der grafisch noch schöner gestaltet ist als die Anthologie, ist als Bildatlas konzipiert. Die Grundidee bleibt allerdings dieselbe: Anhand ausgewählter Beispiele – in diesem Fall in Form von Bildquellen – nimmt sich der Band des umfangreichen Themenkomplexes der (erzwungenen) Verlagerung von Kulturgütern an. Im Bildatlas hat man sich gegen eine chronologische Anordnung der Quellen entschieden und stattdessen eine thematische Ordnung gewählt, die quasi prozessorientiert einen Bogen vom „Nehmen“ bis hin zum „Zurückgeben“ schlägt.

Die zu den jeweiligen Bildern konzipierten Texte schlagen einen großen Bogen von der Analyse der Bildquelle selbst zum kollektiven Gedächtnis, gehen daher also im Detail auch der Frage nach, wie sich der Umgang mit (historischem) Kunstraub in ebendiesem manifestiert. Ähnlich wie in der Anthologie werden auch hier bemerkenswerte historische Kontinuitäten bzw. wiederkehrende Muster sichtbar – so zum Beispiel das antike Bildmotiv des Triumphzuges, das nicht nur in der Renaissance wieder aufgegriffen wurde. Auch im Bildband wird ausgiebig referenziert – einerseits mit Verweisen zwischen den einzelnen Bildquellen selbst, andererseits mit Referenzen zur Anthologie, was die Lektüre dieser beiden umfangreichen Bände deutlich erleichtert und Zusammenhänge plakativ sichtbar macht. In diesem Zusammenhang seien auch noch die umfangreichen Register erwähnt, die beiden Bänden angefügt sind, und eine nützliche Orientierungshilfe bieten.

Beide Bände sind in Gestaltung, Aufbau und Inhalt trefflich gelungen und werden uns in den kommenden Jahren sicherlich als Standard-Referenzwerk zum Thema Kunstraub begleiten.