Elmar Altvater

Marx neu entdecken

Ausgabe: 2018 | 3
Marx neu entdecken

Das Buch „Marx neu entdecken“ von Elmar Altvater bietet eine dichte und kenntnisreiche Einführung in die Theorie und Philosophie von Karl Marx (und von Friedrich Engels). Im Zentrum steht – wenig überraschend – die „Kritik der politischen Ökonomie“, die Marx v. a. in seinem Hauptwerk „Das Kapital“ ausformulierte. Altvater skizziert eine Vielzahl von Begriffen der Marxschen Theorie, wie z.B. Ware, Arbeit, Geld und Fetisch, ohne jedoch in zu abstrakte sprachliche „Sphären“ abzugleiten. Dieses Buch bietet – trotz seiner Kürze – aber auch noch mehr: Der Autor versucht zahlreiche Gedanken der Marxschen Theorie für aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen und Probleme fruchtbar zu machen.

Über den "finanzgetriebenen Kapitalismus"

Auf der Grundlage der Marxschen These, nur im und durch den Produktionsprozess – d. h. durch Arbeit und Ausbeutung – werde Wert und Mehrwert geschaffen, analysiert Altvater den gegenwärtigen „finanzgetriebenen Kapitalismus“. Die (spekulativen) Gewinne, die auf den Finanzmärkten generiert werden, können durch den Wert, der im Produktionsprozess entsteht, nicht „eingeholt“ werden. Es entsteht eine immer breiter klaffende Lücke zwischen produziertem Wert und den Massen an „fiktivem Kapital“ auf den Finanzmärkten. Die monetäre Sphäre verliert vermehrt an „Bodenhaftung“. Dies führt – früher oder später – zum wirtschaftlichen Crash. Dieser finanzgetriebene Mechanismus ist nicht die einzige „Quelle“ ökonomischer Krisen. Eine klassische Krisenursache ist jene des „tendenziellen Falls der Profitrate“. Durch Rationalisierungsprozesse wird der Anteil der menschlichen Arbeit im Vergleich zum konstanten Kapital immer kleiner. Wenn jedoch Arbeit – die laut Marx jenes Element ist, das den Wert erst hervorbringt – in ihrer Bedeutung schwindet, gerät auch die Verwertung des Kapitals zunehmend ins „Stocken“. Letztendlich kommt Altvater – in klassisch marxistischer Manier – zum Schluss, Krisen gehörten zum Funktionieren des Kapitalismus. Erst dadurch können die „Ungleichgewichte“, die durch seine inneren Widersprüche fortlaufend erzeugt werden, zumindest für kurze Zeit „bereinigt“ werden; – zumindest bis zur nächsten Krise.

Marx und Geschlechtergerechtigkeit

Auch wenn Marx selbst (nahezu) kein Wort über die „Überausbeutung“ von Frauen in kapitalistischen Systemen verloren hat, analysiert der Autor gemeinsam mit Dagmar Vinz die bestehenden Geschlechterverhältnisse. Durch und mit Marx lässt sich erkennen, dass der zirkuläre Prozess der Kapitalverwertung, in dem aus Geld mehr Geld gemacht wird, eine Voraussetzung hat: und zwar die Reproduktion der Arbeitskraft. Um die Ökonomie am Laufen zu halten, müssen sich zum einen ArbeiterInnen regenerieren, z.B. durch Essen, Schlaf, Hygiene etc.; zum anderen müssen sie neue Arbeitskräfte schaffen, und zwar durch Fortpflanzung und Erziehung. Diese reproduktiven Tätigkeiten werden auch heute noch vorwiegend Frauen überantwortet und zugeschrieben; jedoch nicht als Arbeit er- und anerkannt. Sie werden vielmehr ins Private abgeschoben und dadurch „unsichtbar“ gemacht. Mit Bezugnahme auf Nancy Fraser und Frigga Haug plädieren Altvater und Vinz daher für eine Neu- und Höherbewertung reproduktiver Arbeit. Diese Neubewertung kann wohl nur ein Schritt unter vielen für mehr Geschlechtergerechtigkeit sein.

Altvater befürwortet "grünen Sozialismus"

Wenig überraschend streicht Altvater die Bedeutung der ökologischen Frage an vielen Stellen des Buchs heraus. Grundsätzlich wird der menschliche Reproduktionsprozess durch Arbeit und damit durch die „Bearbeitung“ von Natur bewerkstelligt. Arbeit und die Generierung von Mehrwert haben eine Voraussetzung: die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Unter den bestehenden Verhältnissen werden immer mehr Ressourcen in immer exzessiverer Weise in den kapitalistischen Verwertungsprozess hineingezogen. Letztendlich führt dies zu einer Bedrohung menschlicher Existenzgrundlagen. Viele ÖkonomInnen und ÖkologInnen versuchen Umweltprobleme durch ein Mehr an Rationalisierung und durch die Steigerung von Effizienz in den Griff zu bekommen. Diese Strategie entlarvt Altvater als wenig hilfreiches Unterfangen. Denn sie unterschlägt, dass Effizienzsteigerungen fast ausschließlich durch den Ersatz von lebendiger Arbeit durch Maschinerie bewerkstelligt werden können. Dieser Vorgang, d.h. die Produktion und das Betreiben von Maschinen, benötigt in vielen Fällen nicht weniger, sondern mehr Energie. Überdies wird oftmals der sogenannte „rebound effect“ unterschätzt: Effizienter und durch weniger Energieverbrauch hergestellt Produkte führen aufgrund ihres geringen Verkaufspreises in der Regel zu einer Konsumsteigerung. Potentielle Energieersparnisse, die durch den Einsatz von umweltfreundlicheren Verfahren angestrebt werden, werden dadurch wieder zunichtegemacht. Altvater richtet sich daher gegen die Idee einer „green economy“, die sich genau in diese Irrtümer verstrickt. Vielmehr spricht er sich für einen „grünen Sozialismus“ aus, der u.a. für den Einsatz nicht-fossiler Energiequellen und für eine „Entschleunigung“ der Wirtschaft im Allgemeinen steht.