Die Universität im 21. Jahrhundert

Ausgabe: 2013 | 3

Was sollen Universitäten jungen Studierenden heute mitgeben und wie sollen sie die wesentlichen Inhalte vermitteln? Das sind die zentralen Fragen, denen sich Jehuda Elkana, er war unter anderem Professor für Wissenschaftstheorie an der ETH Zürich und viele Jahre Permanent Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, und Hannes Klöpper, seit 2011 Geschäftsführer der im Bildungsbereich tätigen „iversity GmbH“, an dieser Stelle gleichermaßen umfassend, tiefgründig und allgemein verständlich widmen.

 

Aufklärung neu denken

Grosso modo, so eine Ausgangsthese der beiden Autoren, sei die Universität [insbesondere in Europa] „eine der beständigsten“ und „die womöglich konservativste gesellschaftliche Institution (abgesehen von der katholischen Kirche und einigen Königshäusern)“ (S. 20). Und da ihre hauptverantwortlichen Kräfte vorrangig mit Struktur- und Budgetfragen befasst seien, werde die Kernaufgabe der Bildungseinrichtungen kaum noch wahrgenommen. Um so mehr gelte es – so das leitende Postulat – „eine ‚Neue Aufklärung’ ins Leben zu rufen, die auf dem Prinzip ‚vom lokalen Universalismus zum globalen Kontextualismus’ aufbaut“ (S. 17) und es sich dabei zur Aufgabe macht, „Studierende zu engagierten, mündigen und informierten Bürgern zu erziehen“ (S. 21).

Diesem hehren Ziel stehen freilich eine Reihe von Hürden gegenwärtiger Hochschulpraxis im Wege (vgl. S. 25ff.). So sind etwa „nur 5 % der Studierenden an wirklicher Forschung beteiligt“, „erfolgt die Einführung interdisziplinärer Herangehensweisen im Rahmen der Curricula viel zu spät“ und wird mit der Fokussierung auf „employability“ die Befähigung zur Kritik, Temperament und Neugierde system(at)isch untergraben – so einige der zentralen Kritikpunkte. Um gegenzusteuern, müssten wir wieder lernen und lehren, „dezidiert dialektisch zu denken“, das dogmatische Beharren auf Rationalismus und Objektivität überwinden, aber auch der Lehre gegenüber der Forschung einen höheren Stellenwert einräumen.

Eine weitere zentrale Aufgabe der Universitäten sehen die Autoren darin, „ein allgemeines Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit der globalen Menschheitsherausforderungen und den dringenden Handlungsbedarf zu schaffen“ (S. 45). Wo Bildung als „die zentrale Dimension einer modernen Gerechtigkeitspolitik“ verstanden wird, gehe es vor allem auch darum, „die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Ungleichheit im Ergebnis tatsächlich durch ein Höchstmaß an Chancengleichheit legitimiert wird“. Talente besonders zu fördern, sei nur gerechtfertigt, wenn allen gleiche Chancen eingeräumt würden (S. 62f.).

 

Engagierte Bürgerschaft heranbilden

Ausführlich setzen sich die Autoren mit der „Idee der Universität“ (Kapitel II) auseinander und thematisieren dabei unter anderem das Problem der Kommerzialisierung von Bildung, aber auch der Universalität der ‚Idee Universität’. Ebenso umfassend werden Ziele und Zwecke der Universität in einer historischen Einordnung reflektiert  etwa die Bedeutung von Einsamkeit und Freiheit, die Einheit von Lehre und Forschung oder die Aktualität der Anliegen W. v. Humboldts u. a. m.). Ein besonderes Anliegen ist Eklana/ Klöpper die (Be-)Förderung einer „engagierten Bürgerschaft“ (S. 124ff). Hierzu müssten Wertefragen als Eckstein der Erziehung zu kritischem Denken begriffen, Studierende auf die Komplexität und Unordnung der Lebenswirklichkeit vorbereitet und eine ‚neue Kultur’ des kollektiven, netzwerkbasierten Lernens etabliert werden, in der nicht über die Welt, sondern in und von ihr gelernt wird, fordern sie. Das Autorenduo erörtert aber auch Grundprinzipien einer diesen Vorgaben verpflichteten Bachelor-Ausbildung und stellt eine Vielzahl von vor allem aus dem englischen Sprachraum stammenden Beispielen vor, die zeigen, wie die diskutierten Ansätze bereits umgesetzt werden. Weitere umfassend diskutierte, hier nicht näher vorgestellte Themen: eine dringend erforderliche Renaissance der Rhetorik, die Entwicklung neuer Curricula (verbunden mit einer Neubewertung der Geisteswissenschaften sowie die Neubewertung der Einheit von Forschung und Lehre.

Dass Elkana/Klöpper sich nicht darauf beschränken, hochschuldidaktische Fragen zu diskutieren, sondern darüber hinausgehend etwa den Zusammenhang von Demokratie und Bildung aus philosophischer Perspektive erörtern, ist hervorzuheben und zu würdigen. Kann die Universität, so fragen sie etwa, in Anbetracht der Auflösung aller „Gewissheit und Solidität der faktisch begreifbaren Welt“ dazu beitragen, „die Stabilität individuelle und gemeinschaftliche Identitäten auf einen neuen kulturellen Basis zu regenerieren?“ (S. 335). Ja. Da moderne Gesellschaften zunehmend auf die politische Reife ihrer Bürger angewiesen seien, komme den Hochschulen eine zentrale Aufgabe zu, argumentieren sie. Von größter Bedeutung sei hierfür allerdings ein neues Verständnis der praktischen Vernunft sowie die Erkenntnis, dass alles Wissen kontextabhängig ist. Ein „pragmatischer Humanismus“ würde diese Erkenntnis am besten Rechnung tragen.

Überlegungen zum Promotionsstudium sowie zur Rolle der Universität im digitalen Zeitalter – Stichwort: vom Campus zum Netzwerk – beschließen diesen Band. Er ist uneingeschränkt vor allem jenen zu empfehlen, die sich umfassend mit aktuellen Fragen der (universitären) Bildung jenseits der aktuellen um Diskussion Budgets und Evaluierung beschäftigen wollen. W. Sp.

 

Elkana, Yehuda; Klöpper, Hannes: Die Universität im 21. Jahrhundert. Für eine neue Einheit von Lehre, Forschung und Gesellschaft. Hamburg: ed. Körber-Stiftung, 2012. 504 S., € 18,- [D], 18,55 [A],

sFr 27,- ; ISBN 978-3-89684-088-2