Wissenschaftliche Strategien in der Kunst

Ausgabe: 1999 | 3

In den letzten zehn Jahren sind zahlreiche Annäherungen zwischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zu konstatieren, ein Phänomen, das die Zeitschrift "Kunstforum" bereits 1986 (Heft 85: „Kunst und Wissenschaft“) und 1993 (Heft 124: „Das neue Bild der Welt/Wissenschaft und Ästhetik“) aufgegriffen hat. Der Schwerpunkt dieser Interaktionen hat sich in letzter Zeit vor allem auf das naturwissenschaftliche Feld konzentriert: Gentechnologie, Molekularbiologie, Hirnforschung und Biotechnologie und die damit verbundenen Verschiebungen zwischen Natur und Kultur faszinieren Künstler und fordern sie zur Auseinandersetzung heraus.

Diese Situation analysiert die nun vorliegende Ausgabe in drei Abschnitten. Zunächst kommen Protagonisten zu Wort, die sich im Kreuzungsbereich beider Bereiche bewegen, darunter Christa Maar von der „Burda-Akademie zum 3. Jahrtausend“ und der Münchner Hirnforscher Ernst Pöppel, die Möglichkeiten der Vernetzung zwischen dem „Subjektivismus“ der Kunst und der „Objektivität“ der Wissenschaft nachgehen. Wie Wissenschaftsthemen in prozeßkünstlerische Konzepte eingehen können, diskutieren Peter Frieß vom Deutschen Museum Bonn und der Ausstellungsmacher Hans-Ulrich Obrist. Zwei Künstler-Wissenschaftler, Tyna Claudia Pollmann und Bogomir Ecker, berichten von eigenen Projekten und interdisziplinären Reflexionen. Der zweite Teil des Bandes dokumentiert ausgewählte Projekte und Ausstellungen zum Thema, etwa die „Art & Brain“-Reihe Jülich und Bonn, die Wiener „Robotronika“, die Ausstellung „post naturam“ in Münster und Darmstadt, das Projekt „Formel 2“, das in Amsterdam und Berlin Künstler und Wissenschaftler zusammenspannte oder die Bonner „Gen-Welten“-Ausstellung mit der Frage, ob Künstler gerade dort politische und ethische Brisanz sichtbar machen können, wo ökonomische Verwertungsinteressen die gesellschaftliche Diskussion zu überlagern drohen. Der dritte Teil des Hefts gilt „Strategien“ einerseits des künstlerischen Umgangs mit Wissenschaft, andrerseits von wissenschaftlichen Verfahren bei der Realisierung künstlerischer Konzepte und erörtert anhand von gut zwei Dutzend Beispielen, wie und mit welchen Erkenntnisinteressen Künstler beobachten, untersuchen, systematisieren, experimentieren, konstruieren, simulieren, vermessen, berechnen oder aber auch polemisieren und mit Gegenentwürfen reagieren, um nur einige der angewandten Ansätze zu nennen.

Ein sehr informatives, Theorie und Praxis an einer wesentlichen Schnittstelle der heutigen - und wohl auch künftigen - kulturellen Entwicklung umfassendes "Heft" (480 Seiten, davon 135 dem Schwerpunktthema gewidmet). Hinweis: Die Bände 100 - 140 von "Kunstforum" sind jüngst als Volltext-Datenbank auf einer CD-ROM erschienen (DM 148,-).

W.R.

Dialog und Infiltration. Wissenschaftliche Strategien in der Kunst. Schwerpunkt von "Kunstforum" 144 (März/April 1999), S. 38 - 173