„Außer Frage steht, daß sich gegenwärtig die Modi der Erzeugung und Anwendung von Wissen sowie die Verteilung wissensbasierter Tätigkeiten weitreichend verändern.“ (S. 12) Aber berechtigt diese Beobachtung auch zur Annahme, daß unsere Gesellschaft im Begriff ist, sich in eine Wissensgesellschaft zu transformieren oder wir bereits mit einem Fuß in ebendieser stehen? Es scheint sich in der soziologischen Forschung noch so keine rechte Antwort ausformuliert zu haben, denn die neue Gesellschaftsformation steht erst einmal zur Diskussion. Auch die vorliegenden Beiträge, der Industrie- und Organisationssoziologie sowie der Technikforschung entstammend, nähern sich den Thesen zur Wissensarbeit und Wissensgesellschaft in recht unterschiedlicher Weise.
Während Nico Stehr fleißig seine Theorie zur Wissensgesellschaft entwirft, äußern sich die restlichen Autoren skeptischer und differenzierter zu dieser „Problemformel“ (Kocyba S. 93). Stehrs Thesen waren Ausgangspunkt für die Diskussion - und sie reizten durchaus zum Widerspruch. Gar zu allgemein, abstrakt und isoliert wird hier Wissen, das anstelle von Arbeit und Eigentum nun die Ökonomie dominiere, als Ressource zur wirtschaftlichen Wertschöpfung gehandelt. Mager auch die Definition von Wissen als Fähigkeit zum Handeln (Handlungskapazität), d.h. als die Möglichkeit, etwas in ‘Gang zu setzen.’ (S.14) und gleichermaßen unpräzis das daraus resultierende optimistisch beschriebene Handlungsvermögen für die einzelnen Akteure. „Eine realistische und illusionslose Bewertung der sozialen Rolle des Wissens muß zu dem Schluß kommen, daß die Ausweitung des Wissens, und damit der Handlungsmöglichkeiten, nicht nur unüberschaubare Risiken und Unsicherheiten mit sich gebracht hat, sondern auch ein befreiendes Potential für viele Individuen und soziale Gruppen schafft.“ (S. 22)
Welches Wissen und für welche Individuen und Gruppen denn, möchte man/frau fragen, aber darauf findet sich keine Antwort. Doch befreit, das sind mittlerweile wirklich viele Menschen - von entlohnter Arbeit nämlich. „Wissen, das nicht mit Arbeit und Kapital kombiniert wird, ist kein Wertschöpfungsfaktor.“ (Kocyba S. 109) Ein Zitat Schumms möge das Unbehagen zum Ausdruck bringen, das einem bei der Verdrängung von real- und machtpolitischen Vorgängen, die nur dann und wann zart anklingen, befällt: „Die Rede von der Wissensgesellschaft als einer positiv besetzten Zukunftsvision kann auch als Zauberformel gegen Massenarbeitslosigkeit mobilisiert werden, so als wirke sich vermehrte Innovation relativ umstandslos auf die Beschäftigungssituation aus.“ (S. 181)
Ganz konkret präsentieren sich dagegen die empirischen Fallstudien, die v. a. die Automobil- und Softwareindustrie und den Finanzsektor betreffen. Rammert liefert einen interessanten Überblick über Methoden der Soziologie, wobei er die „exemplarisch situative Analyse strategischer Felder und Sozialräume “ (S. 43) favorisiert, bevor er sich den Labor- und Arbeitssituationen als den wichtigsten Plätzen in der Wissensproduktion und -verteilung zuwendet. Schmiede stellt die brisante Frage nach dem Verbleib des Subjekts/der Subjektivität in der „Informationsgesellschaft“ mit der nachdrücklichen Unterscheidung von „Information“ und „Wissen“, was angesichts der oftmalig undifferenzierten und synonymen Verwendung der Termini weniger banal, denn notwendig ist. Als abschließenden Beitrag liefert Schumm eine kritische Reflexion zum Begriff der „Wissensarbeit“ und „Wissensgesellschaft“, womit er ein gewisses Gegengewicht zu den Eingangsthesen Stehrs bildet.
Die Idee, die Beiträge über die theoretischen Entwürfe zur neuen Gesellschaftsformation mit ganz konkreten Fallstudien zu kombinieren, wäre gut gewesen, würde sich nicht ein Großteil der Aufsätze als Spezialabhandlung von Soziologen für Soziologen lesen. Die Chance, dieses interessante und zukunftsrelevante Thema auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, hat leider nur die Minderzahl der Autoren, hier allen voran Kocyba, Schmiede und Schumm, genutzt.
A. E.
Wissen und Arbeit. Neue Konturen von Wissensarbeit. Hrsg. v. Wilfried Konrad ... Münster: Westfäl. Dampfboot, 1999. 185 S., DM 39,80 / sFr 37,- / öS 291,-