Wirtschaft von unten - Selbsthilfe und Kooperation

Ausgabe: 1998 | 1

"Ein aktives Leben führen, heraustreten aus der Rolle des braven Konsumenten oder verwalteten Hilfsempfängers, Fähigkeiten entfalten, die nicht nur in der Arbeitslosigkeit. sondern meist auch in entfremdeter Lohnarbeit ungenutzt bleiben oder sogar unterdrückt werden - das ist eine Perspektive, für die wir mit diesem Buch werben wollen." Zweifellos einer hoher Anspruch, den die Herausgeber des vorliegenden, aus einem vom 21. bis 23. Februar 1997 in Potsdam stattgefundenen Kongreß hervorgegangenen Bandes formulieren, ein Anspruch, dem die gelungene Mischung aus theoretischen Analysen und praktischen Beiträgen aber durchaus gerecht wird.

So plädiert Oskar Negt einleitend dafür, der "Unterernährung an Organisationsphantasie für praktische Alternativen", die auch unter Linken anzutreffen sei, mit einem "Erfindergeist" für kooperative Wirtschaftsformen zu antworten, die der "ersten Ökonomie" ebenbürtig sein können. Daß hierfür der Rückgriff auf historische Vorbilder von Saint Simon, Charles Fourier, Joseph Proudhon oder Robert Owen möglich ist. ruft Michael Buckmiller in Erinnerung. Micha Brumlik skizziert in Anlehnung an Andre Gorz eine radikale Lebensarbeitszeitverkürzung („niemand darf länger als insgesamt 25 Jahre lang in bezahlten Arbeitsverhältnissen tätig sein", S.88) als sinnvollen Ausweg aus der Verknappung der Arbeit. Für den Aufbau eines von Markt und Staat völlig abgekoppelten, die Gewerkschaftsbewegung aktivierenden "Dritten Sektor" plädiert Robert Kurz - eine Perspektive, die ebenso wie die These des Autors von der "Krise des Kapitalismus" hinterfragt werden muß.

Daß die Förderung einer "Sozialen Ökonomie" durch den Staat, der wiederum aus Beiträgen der "ersten Ökonomie" lebt, der sinnvollste Weg aus Armut und Arbeitslosigkeit darstellt und zugleich gesellschaftlich notwendige, jedoch nach gängigen Marktkriterien nicht gewinnbringende Leistungen abdeckt, machen die Beiträge von Karl Birkhölzer, Vorsitzender des "Europäischen Netzwerkes für ökonomische Selbsthilfe und lokale Entwicklung", sowie von Horst Schmitthenner, Vorstandsmitglied der IG Metall (letzterer weist zu Recht darauf hin, daß auch Großkonzerne massive öffentliche Förderungen erhalten) deutlich. Nicht weniger interessant sind die praktischen Berichte des Bandes, etwa über die Selbstverwaltung in der Glashütte Süßmuth, Genossenschaftsbewegungen in der BRD und in Italien, die Reportagen über "soziale Betriebe" in Niedersachsen, ein (vorerst gescheitertes) Recycling-Projekt für Elektronikschrott oder über sogenannte ”Betroffenenwohnbaugenossensch<wbr />aften", in denen Obdachlose in "Eigenregie" Wohnungen errichten. Vorgestellt werden zudem das EU-Projekt "Ökonomische Gemeinwesenentwicklung und soziale Unternehmen und das "netz" für Selbstverwaltung und Selbstorganisation in der BRD.

Der lesenswerte Band endet mit der "Potsdamer Erklärung", in der die Rücknahme des Steuergebots für Tauschringe, staatliche Fördergelder für eine beschäftigungswirksame und ökologisch verträgliche Wirtschaft von unten sowie die entgeltlose Zur-Verfügung-Stellung ungenützter Gebäude und brachliegenden Landes für Arbeitslosenprojekte gefordert werden.

H. H.


Wirtschaft von unten. Selbsthilfe und Kooperation. Hrsg. v. Friedrich Heckman ... Heilbronn: Distel-Verl., 1997.221 S., DM 29,80/ öS 218,- / sFr 27,50