Wirtschaft - Natur - Friede - Bewusstsein: Das sind die vier Themenkreise, die C. F. v. Weizsäcker behandelt, um die drängenden Fragen der Zeit "den Intellektuellen unserer Tage" näherzubringen, wie es im Vorwort heißt. Die schematische Darstellung des Inhalts macht neugierig. Bei näherem Hinsehen jedoch zeigt sich, daß "Gedanken für morgen", 1984 publiziert, heute vielfach von der aktuellen Geschichte eingeholt wurden oder aber in der Erörterung ideologischer Prämissen und Grundsatzfragen befangen bleiben und daher kaum 'Neues vermitteln. Die Einsicht, daß der Krieg - übrigens in jeder Form - ein untaugliches Mittel der Politik ist, eine wirksame Begrenzung weiterer ökologischer Belastungen in der Einführung des Verursacherprinzips schon gefunden und doch nur zögernd durchzusetzen ist - macht noch keinen Bewußtseinswandel aus. Die Fülle heute schon praktizierter ermutigender sozialer Projekte in aller Welt, die vitaler Ausdruck der Veränderung sind, sucht man in diesem Buch vergebens: Im Einzelfall hilft der Adressennachweis eines europäischen Umweltinstituts über die Beweisführung hinweg.
Trotz dieser Einwände im Detail ist festzuhalten, daß der Autor Tendenzen der Zeit aufgreift, Notwendigkeiten diagnostisch beschreibt und immer wieder Forderungen an den (nicht nur von ihm) beschworenen Bewusstseinswandel stellt "... Eine moralisch erwachsene Wissenschaft und eine Gesellschaft, in der die Erkenntnisse einer solchen Wissenschaft durchsetzbar wären", ist v. Weizsäckers Wunschtraum.
Das Ringen um die moralische Verantwortung des Wissenschaftlers zeigt vor allem der Abschnitt "Verfasser als Zeitzeuge", der den nachhaltigsten Eindruck hinterläßt. Hier wird das persönlich menschliche Abenteuer des Physikers nachvollziehbar, der maßgeblich an den Vorarbeiten zu einer "deutschen Atombombe" beteiligt war, deren Bau ablehnte, und zugleich die (theoretischen?) Voraussetzungen der "Plutoniumswirtschaft" schuf.
Daß aus dem uneingeschränkten Befürworter der Kernenergie inzwischen ein aus politischen Gründen skeptischer Zeitzeuge geworden ist, mag man exemplarisch als Resultat des beschworenen Bewußtseinwandels zur Kenntnis nehmen.
Weizsäcker, Carl F. v.: Bewußtseinswandel. München (u. a.): Hanser, 1988.480 S. DM 39,80/ sFr 33,70 / öS 310,40