Jonathan Safran Foer, Autor des aufsehenerregenden Werkes „Tiere essen“, hat ein Buch über die klimatischen Auswirkungen von Massentierhaltung geschrieben, welches vor allem von einem geprägt ist: Schonungslosigkeit. Diese Schonungslosigkeit wendet der Autor gegen sich selbst, aber genauso gegen die LeserInnen.
Das Buch bricht mit allen Erwartungen, die man an ein Buch über den Klimawandel bzw. über ein konkretes Klimaproblem hat: Anstelle einer Aufzählung von Fakten zum Klimawandel strebt Foer an, uns und sich selbst zum Handeln zu bringen. Dies mit einer Eindringlichkeit, dass man sich seinem Argument kaum entziehen kann, denn tatsächlich: Wir, unser gesamtes Verhalten und hier besonders unser Essverhalten können das Klima jeden Tag weiter zerstören oder ein Stück weit retten. Warum wir letzteres nicht tun? Weil wir in letzter Konsequenz nicht akzeptieren können, dass der Klimawandel uns selbst, unsere Kinder, unsere Zivilisation als Ganzes bedroht. Ziel des Buches ist, unseren Glauben an die Möglichkeit des Klimawandels zu wecken, und uns zum Aktivwerden zu bringen, zumindest in Hinblick auf unseren Konsum von Tierprodukten.
Foer hat sein Buch in fünf Abschnitte gegliedert. Jeder dieser Teile bringt uns der Verbindung von Massentierhaltung und Klimawandel Schritt für Schritt näher. Fakten zur Rolle von Viehzucht für Umweltschäden werden erst im Anhang behandelt, nachdem die LeserInnen in den Kapiteln vorher von Foer buchstäblich „ins Gebet“ genommen wurden. Foer arbeitet mit Analogien und philosophischen Exkursen, mit Streitgesprächen mit sich selbst, mit schlimmstmöglichen Katastrophen und mit bestmöglichen Reaktionen darauf.
Ein Bild, das im Buch immer wieder bemüht wird, ist die kollektive Kraftanstrengung der USA im Zweiten Weltkrieg – nicht nur die Massenmobilisierung an der Front, sondern in den amerikanischen Fabriken, das radikale Zurückschrauben individuellen Konsums, das massiven Anheben von Steuern sowie das Aufbrechen tradierter Rollen (vgl. S. 18f.). Foer sagt gerade heraus, dass man den Klimawandel nicht „ohne Opfer“ besiegen könne. Im Grunde ist unsere Zivilisation am Ende, nur wie sie endet, können wir gestalten: durch die Katastrophen, die der Klimawandel hervorruft, oder weil wir für uns eine neue, klimafreundliche Art zu leben schaffen. Das große Problem ist jedoch, dass die Auswirkungen des Klimawandels und der Gedanke, eine neue Zivilisation zu bauen, schlicht unsere Vorstellungskraft übersteigen: „Die Krise unseres Planeten ist so abstrakt und vielschichtig, verläuft so langsam, ermangelt so sehr symbolträchtigen Gestalten und Momenten, dass es unmöglich scheint, sie fesselnd und wahrhaftig zu beschreiben.“ (S. 23)
Dem Klimawandel fehlt die „gute Story“
Gerade die „gute Story“ fehlt dem Klimawandel – und damit auch die Möglichkeit, Massen zu emotionalisieren und zu mobilisieren, wie es etwa die Bürgerrechtsbewegung geschafft hat. Folgerichtig versucht Foer, den Klimawandel mit Emotion zu „unterfüttern“ – erst dann können wir daran „glauben“ und unser Handeln entsprechend ausrichten. Die Emotionalisierung treibt der Autor recht weit – für geschichtssensible EuropäerInnen manches Mal zu weit, entweder wenn er Parallelen zum „Nicht-Glauben“ an den Holocaust bei EntscheidungsträgerInnen in den Westmächten zieht. Denn Wissen reicht nicht, um zu handeln: „Allem Wissen über menschengemachten Klimawandel zum Trotz haben wir 2018 mehr Treibhausgase produziert als je zuvor – der Anstieg liegt dreimal höher als das Wachstum der Weltbevölkerung. Gute Ausreden gibt es zuhauf (…). Aber die Wahrheit ist so roh wie offensichtlich: Es ist uns egal.“ (S. 47) Es kann sich nur etwas ändern, wenn wir den Klimawandel und den Kampf dagegen emotionalisieren. Dabei spielt jedes Individuum eine entscheidende Rolle: „Ist radikaler Wandel gefragt, behaupten viele, man könne ihn als Einzelner ja sowieso nicht herbeiführen, brauche es also gar nicht erst versuchen. Das genaue Gegenteil trifft zu: Die Ohnmacht des Einzelnen ist der Grund, aus dem alle es versuchen müssen.“ (S. 64)
Foers wichtigstes Anliegen ist das Ende der industriellen Massentierhaltung. Dabei geht es ihm nicht um die Propagierung einer strikt veganen Lebensweise, sondern um eine Umstellung des Lebensstils: „Dieses Buch plädiert dafür, dass wir alle anders essen – soll heißen: keine tierischen Produkte vor dem Abend.“ (S. 79) Und weiter: „Wir können nicht unsere vertrauten Mahlzeiten und zugleich unseren vertrauten Planeten behalten. Eins davon müssen wir aufgeben. So einfach und so schwierig sieht es nun mal aus.“ (S. 87)
Nicht nur die große Menge der Treibhausgase Methan und Stickoxid, die durch Nutztierhaltung in die Atmosphäre ausgestoßen werden, sondern die damit einhergehende Entwaldung und die Entsorgung von Tierabfällen tragen maßgeblich zur Erderwärmung bei: „Laut der Welternährungsorganisation FAO ist Nutzvieh ein Hauptverursacher des Klimawandels (…). Wir wissen genau, dass wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, solange wir die Nutztierhaltung nicht in den Griff bekommen.“ (S. 111f.)
Systemfrage als Randnotiz
Nach einer detaillierten Auflistung von Fakten zur Rolle der Massentierhaltung für die Erwärmung der Erde folgt ein eindringliches Plädoyer, unser „Zuhause“ zu bewahren. Dazu müssen vor allem jene ihre Selbstzufriedenheit überwinden, die meinen, schon genug zu tun – denn diese können wirklich etwas bewegen, im Gegensatz etwa zu dezidierten KlimawandelleugnerInnen. Das betrifft auch Foer selbst: Im „Gespräch mit der Seele“ hält der Autor ein Zwiegespräch mit sich selbst, in dem er seine Hoffnungen, Ängste und sein Nicht-Handeln recht gnadenlos seziert. Die Essenz des Gesprächs ist jedoch nicht der Verzicht, sondern das Maßhalten (vgl. S. 220).
Nur ganz kurz stellt Foer die Systemfrage. Natürlich braucht es ein anderes Wirtschaften, ein politisches System, das strukturellen Wandel ermutigt und umsetzt, aber der Autor betont, dass ohne eine Veränderung individuellen Handelns die Klimawende nicht geschafft werden kann – und hier geht es vor allem um das Essverhalten. Doch solange „die Entscheidung für den Tod bequemer ist als die für das Leben“ (S. 242) steuern wir wissend in die Katastrophe.
„Wir sind das Klima!“ ist einzigartig in seiner Eindringlichkeit. Foer will emotionalisieren – was er auch offen anspricht – und uns nicht in den Alltag entlassen, ohne dass wir uns selbst sehr grundsätzliche Fragen zu unserem Lebensstil stellen. Das „In-die-Pflicht-nehmen“ des Individuums ist sowohl Stärke des Buches – wir alle müssen Opfer bringen – als auch seine Schwäche. Während es ohne uns alle nicht gehen wird, ist die systemische Frage mehr als eine bloße Randnotiz, als die sie Foer darstellt. Was ist mit Menschen, denen das Wissen zum Klimawandel fehlt? Mit jenen, die keine Handlungsressourcen und -optionen haben? Denjenigen, welche den Klimawandel schlicht leugnen? Foer bürdet dem Individuum eine atemberaubende Verpflichtung auf, die sich zwar ethisch begründen lässt, aber an der Realität scheitern wird. Ohne eine systemische Umstellung wird es nicht gehen.