Von der Konsensgesellschaft zur Konfliktgesellschaft

Ausgabe: 1997 | 2

 

Wilhelm Heitmeyer (Universität Bielefeld) unternahm im Zuge der Rechtsextremismusdebatten seit Ende der achtziger Jahre u. a. den Versuch, das in der deutschsprachigen Soziologie einflußreichste Theorem der letzten Jahre, jenes der ”Risikogesellschaft" von Ulrich Beck, für seinen inhaltlichen Schwerpunkt (politische Sozialisation) fruchtbar zu machen. In den beiden nun vorliegenden Bänden zeichnet Heitmeyer die Entwicklung von einem vielfach in seinen Endstadien befindlichen Gesellschaftstypus („Konsensgesellschaft") hin zu einem in seinen Konturen noch nicht klar erkennbaren Typus nach. Für die Autorinnen stellt sich dabei ein Problem. Der Forschungsgegenstand impliziert Ambivalenzen, die sich zugleich als methodische Probleme bemerkbar machen: die seit Jahrzehnten verwendeten soziologischen Kategorien (Klasse, Schicht, Familie, Arbeit, Konflikt etc.). in denen wir zu denken gewohnt sind, können die neuen, unklaren Konturen nicht mehr bzw. noch nicht fassen. Auf politischer Ebene manifestiert sich das Problem in den Schwierigkeiten, die Sozialpartnerschaft. Kirche u. a. Institutionen der ”Konsensgesellschaft" heute mit ihrer Legitimation haben. Friedhelm Hengsbach meint in seinem Beitrag gar, daß der "Gesellschaftsvertrag der Nachkriegszeit aufgekündigt" sei. Die sich aus dem Forschungsgegenstand ergebenden Spannungen und Widersprüche sind für die Autorinnen gerade Motivation zur Differenzierung. Eines zeigen die Beiträge deutlich: vieles dreht sich um die Frage, welches Maß an Pluralisierung und Individualisierung Gesellschaften vertragen bzw. wir ihnen zugestehen. So fragt der Herausgeber in der Einleitung zum zweiten Band: "Sind individualisierte und ethnisch-kulturell vielfältige Gesellschaften noch integrierbar?". Ein fundiertes Projekt Heitmeyers, das Ambivalenzen beleuchtet und somit auch wegweisend sein kann für die Diskussion möglicher künftiger Entwicklungen. I. B.

 

Was treibt die Gesellschaft auseinander? Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft. Bd. 1. 652 S.

Was hält die Gesellschaft zusammen? Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft. Bd. 2, beide hrsg. von Wilhelm Heitmeyer. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1997. 483 S., je DM / sFr 25,- / öS 795