Anja Röcke

Soziologie der Selbstoptimierung

Ausgabe: 2022 | 1
Soziologie der Selbstoptimierung

Selbstoptimierung heißt sich verbessern. Aber während sich Selbstoptimierer:innen ihrem Ziel nähern, wird es schon wieder durch weitere ersetzt oder verändert sich. Optimieren heißt also Verbessern ohne Ende und „grundsätzlich verweist Selbstoptimierung nicht auf ein Leben in Genuss und Muße “ (S. 218). Im medialen Diskurs wird dieses um sich greifende Phänomen vor allem kritisch beleuchtet, der Mensch als Leibeigener gesellschaftlicher Normvorstellungen präsentiert. Ganz so einfach ist das nicht, wie uns nun das erste deutsche Grundlagenwerk zur Soziologie der Selbstoptimierung zeigt.

Das erste Überblickswerk

Anja Röcke macht einen unaufgeregten Rundumschlag durch die Geschichte und die Perspektiven zur Selbstoptimierung. Neben der Berichterstattung über Optimierungsstrategien in Sachen Schönheit, Fitness, Gesundheit und Leistungsfähigkeit, wird der Begriff auch in der Soziologie mehrheitlich aus der Stoßrichtung der (kultur-)kritischen Ökonomisierung des Sozialen und unter der Brille von Foucaults Gouvernementalität bzw. den daran anschließenden governmentality studies analysiert. So geflügelt und kritisch konnotiert wie dieses gesellschaftliche Phänomen seit langem ist, mutet es fast überraschend an, dass ein solches Überblickswerk erst 2021 veröffentlicht wird. Röcke meidet die Identifikation mit einer der von ihr vorgestellten theoretischen Strömungen und zeigt damit, dass Optimierung nicht nur ein durch Druck entstehendes Phänomen ist, sondern ebenso Resultat intrinsischer Motive sein kann. Dazu liefert sie eine tiefgreifende Recherche zur historischen Einbettung und Vorläufertypen der Selbstoptimierung sowie den dazugehörigen Subjektivierungsansätzen und Praxistheorien. Viel hat sie hier zu tun, denn auch wenn sich die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen schon über zwei Dekaden zieht, gleicht die Forschungslandschaft teils einem Flickenteppich. Röckes Leistung besteht darin, die Erkenntnisse zusammenzutragen und schließlich auch zu einer Systematik zusammenzufassen – dem analytischen Kern des Phänomens.

Röcke liefert eine Begriffsgenealogie, die uns nicht nur weit zurück liegende Konzepte und Ideen liefert, sondern auch zeigt, wie die wirtschaftliche und technische Dimension der Optimierung um 2000 herum langsam, aber sicher in alle gesellschaftlichen Sphären vorgedrungen ist. Über die kultursoziologische Diskussion erarbeitet sie schließlich Selbstoptimierung als Subjektivierung und Praxis, wobei uns sowohl Klassiker der Soziologie als auch aktuelle Gegenwartsdiagnosen begegnen. Die Erkenntnisse kondensiert sie in zehn Punkten, die dieses Phänomen in ihrer Struktur generalisiert beschreiben können: „ihrer grundlegenden Orientierung an Verbesserbarkeit und Mängelbeseitigung, ihrer offenen Strukturlogik und ihrer Oszillation zwischen Autonomie und Heteronomie.“ (S. 206) Diese Oszillation hebt sie noch einmal in Form von zwölf Spannungsfeldern hervor und kommt zur Annahme, dass Selbstoptimierung das Selbst und die Gesellschaft sogar stabilisieren kann – eine spannende These, über die ich gerne mehr gelesen hätte.

Eine kluge Analyse

Röcke liefert die ausführliche und kluge Analyse eines Phänomens der Gegenwartsgesellschaft, auch wenn sie sich am Ende nicht weit aus dem Fenster lehnt – sie schafft damit jedoch einen forscherischen Ausblick in einem Buch, welches ansonsten einen anderen Schwerpunkt hat: die Schaffung eines Grundlagenwerkes.